Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2010/2011
Abstract
Inhalt der Arbeit bildet eine kriminalitätshistorische Untersuchung der Brandstiftung im Kanton St. Gallen zwischen 1839 und 1885 in Bezug auf ihr spezifisches Täterprofil, die Motive und Intentionen hinter den Taten sowie die strukturellen Voraussetzungen, welche diese bedingten. Die Hauptquellen, welche den analytischen Teilen dieser Masterarbeit zugrunde liegen, bilden die „Stammbücher“ der kantonalen Strafanstalt St. Jakob bei St. Gallen, eine Art Insassenverzeichnis, welches sehr ausführliche Informationen zur Biographie der Täterschaft, dem Tathergang und anderem enthält.
Der Fokus der Untersuchung sowie die Argumentationslinien sind stark durch die historiografische Einbettung dieser Case-Study in die Thesen und Ergebnisse der drei wichtigsten Vergleichsstudien zur Brandstiftung im 19. Jahrhundert von Hobsbawm/Rudé, Schulte und Caron geprägt: Stark verkürzt ausgedrückt plädieren alle drei Studien dafür, dass es sich bei der Brandstiftung meist um Racheakte der Knechte und Taglöhner an ihren Arbeitgebern – den Bauern – handelte, von welchen sie sich ungerecht behandelt fühlten. Im Hauptteil der Studie zur Brandstiftung im Kanton St. Gallen wird im Anschluss an diese Generalthese untersucht, inwiefern sich das Bild, welches sich anhand der Täterprofile und Biografien der verurteilten Brandstifter aus St. Jakob von dieser Deliktkategorie zeichnen lässt, von denjenigen in anderen Regionen unterscheidet, und durch welche Faktoren sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten begründen lassen.
Im ersten Abschnitt des Hauptteils werden die strukturellen Voraussetzungen, welche den Rahmen für die Entstehungszusammenhänge der Brandlegungen bildeten, kurz umrissen. Dabei stehen die Wandlungsprozesse im Bereich der Wirtschaft, des Armenwesens, der Strafverfolgung und des Strafvollzugs im Zentrum des Interesses. Anhand dieser Rekonstruktion auf der Grundlage der Forschungsliteratur kann aufgezeigt werden, dass der Kanton St. Gallen im 19. Jahrhundert als eine protoindustriell schon früh weit entwickelte Region trotz der meist florierenden Textilindustrie durch eine grosse Masse von Armengenössigen und eine wachsende Unterschicht geprägt war. Angesichts dieser Übermacht von Bedürftigen offenbarten sich im Bereich des Armenwesens und insbesondere in den Armenhäusern vieler Gemeinden starke infrastrukturelle und personelle Mängel. Dem gegenüber zeichnete sich das kantonale Strafvollzugswesen insbesondere in Form der 1839 eröffneten Strafanstalt St. Jakob durch eine äusserst fortschrittliche Konzeption und eine humane Behandlung straffälliger Personen aus. Eine weitere wichtige Voraussetzung für die spezifischen Intentionen hinter den Brandlegungen findet sich im Umstand, dass in St. Gallen schon sehr früh eine obligatorische kantonale Gebäudebrandversicherung vorhanden war.
Den zweiten Teil des Hauptteils bildet eine statistisch-deskriptive Analyse der „Stammbuch“-Einträge der BrandstifterInnen in Bezug auf deren Täterprofil, den Motiven und Intentionen hinter den einzelnen Taten sowie die räumliche und zeitliche Streuung derselben. Dabei wird ersichtlich, dass im Kanton St. Gallen die Frauen eine grössere, die soziale Gruppe der Dienstboten hingegen eine weit weniger wichtige Rolle in der Täterschaft spielte, als dies in den Vergleichsregionen der Fall war. Ausserdem bestätigte sich auch die Annahme der anderen Autoren in Bezug auf die Motive und Intentionen hinter den Taten nicht: Nicht etwa die Rache stand hier an erster Stelle, sondern Betrug. Weiter liess sich eine Intentionskategorie definieren, welche in anderen Studien nicht erwähnt wird – die „Flucht“ aus bedrohlichen oder unerträglichen Lebensumständen, wobei in vielen Fällen die Unterbringung in der Strafanstalt das Ziel der Tat war.
Im dritten und letzten Teil schliesslich werden die drei wichtigsten Motivoder Intentionskategorien – Betrug, „Flucht“ und Rache – einer hermeneutisch-inhaltsanalytischen Untersuchung unterzogen. Dabei geht es in erster Linie um die Rekonstruktion der Entstehungszusammenhänge der Brandstiftungen und deren Einordnung in die strukturellen Gegebenheiten. Hierbei können weitere Unterkategorien in Bezug auf das Täterprofil, die Täter-Opfer-Relationen oder die Lebensumstände der Täterschaft vor der Tat definiert werden. Die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Teil sind folgende: Innerhalb der Betrugsbrandstiftung spielten gerade Frauen eine vergleichsweise wichtige Rolle, da sie oft von ihren Männern dazu angestiftet wurden, das eigene Haus anzuzünden, um so an die Versicherungsgelder zu kommen. Bei der Kategorie „Flucht“ zeigte sich, dass der Kontrast zwischen den Lebensumständen in der Armenfürsorge und im Strafvollzug dazu führte, dass Armenhäusler zur Brandstiftung schritten, um auf diesem Weg aus dem Armenhaus ausgeschlossen und in die Strafanstalt eingewiesen zu werden. Und schliesslich zeigte sich die Rachebrandstiftung nicht etwa primär als ein Problem der Beziehung zwischen Dienstherr und Gesinde, sondern als Resultat eines vielfältigen Katalogs von Konfliktsituationen und Täter-Opfer-Relationen.
Die Feststellung, welche am Ende des Fazits zu den Ergebnissen dieser Arbeit steht, ist, dass einerseits monokausale Interpretationsmuster, wie sie grösstenteils aus den Vergleichsstudien hervorgehen, bei einer sorgfältigen Untersuchung der BrandstifterInnen und ihrer Taten schnell an ihre Grenzen stossen, und andererseits, dass diese Deliktkategorie betreffend generalisierbare Thesen mit überregionaler Geltung nur erreicht werden können, indem auch in anderen Gegenden komparativ angelegte Studien angestrengt werden.