Panelbericht: Soziale Aspekte der früh- und vormodernen Vermögensstrafe

Auteur du rapport
Sebastian
Leitner
Universität Zürich
Citation: Leitner Sebastian: « Panelbericht: Soziale Aspekte der früh- und vormodernen Vermögensstrafe », infoclio.ch Tagungsberichte, 16.07.2019. En ligne: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0208>, consulté le 14.10.2024

Verantwortung: Lukas-Daniel Barwitzki / Miriam Bastian
Referierende: Lukas-Daniel Barwitzki / Miriam Bastian / Fabian Henggeler
Kommentar: Thomas Lau

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Als einziges der parallel stattfindenden Geschichtstage-Panels, das sich nicht mit dem 20. Jahrhundert beschäftige, dafür jedoch mit Beispielen aus der Antike bis in die frühe Neuzeit den ganzen «Rest» der Epochen abdecke und einen transepochalen Ansatz verfolge, stellte LUKAS-DANIEL BARWITZKI (Zürich) das Panel vor: Ziel des Panels sei es, den Fokus von den zumeist als interessanter erachteten Körper- und Todesstrafen hin zu den Geldstrafen zu verschieben. Innerhalb dieses Themenkomplexes wollten sich die Referierenden zudem weniger mit individuellen Delinquenten beschäftigen, als vielmehr die Auswirkungen der Vermögensstrafe auf deren soziales Umfeld untersuchen. Damit stellten sie sich in eine Tradition der sozial- und kulturgeschichtlichen Betrachtung des Rechts, welche die gelebte Rechtspraxis zu beleuchten versuche, während sich die Rechtsgeschichte vor allem normativen Texten widme. Barwitzki unterschied in seiner Einführung drei Formen der Vermögensstrafe, deren Abgrenzung in der Praxis zwar nicht immer einfach sei, die aus methodischer Sicht jedoch wichtig für die Interpretation seien. Als erste Form stellte er die finanzielle Busse vor, die bei kleineren Vergehen verhängt wurde. Da sie seltener direkte Auswirkungen auf das soziale Umfeld der Delinquenten hatte, sei diese Form für das Panel weniger von Interesse. Der zweite Typus, die Vermögensstrafe, beziehe sich jedoch direkt auf das Vermögen einer Person oder ihres Umfeldes und sollte diesem gezielt schaden. Einen dritten Typus erkennt Barwitzki in der Strafe gegen die Vermögensgrundlage, bei welcher dem Delinquenten die Grundlage seines wirtschaftlichen Handelns entzogen wurde. Anhand von drei kurzgefassten Beispielen aus dem Mittelalter, der lex salica, einem Lehensentzug und einer Stadtverbannung, betonte Barwitzki nochmals, dass von einer Vermögensstrafe immer auch das soziale Umfeld eines Delinquenten betroffen sei. Dieses sei in der Forschung bis anhin noch zu wenig berücksichtigt worden, weswegen das Panel auch als Anregung zur Perspektivenerweiterung dienen solle.

Den Auftakt des transepochalen Überblicks machte MIRIAM BASTIAN (Zürich) mit ihrem Referat über die Auswirkungen von Vermögensstrafen auf die Macht und den Reichtum des sozialen Umfelds eines Verurteilten im Römischen Reich. Am Beispiel von Plautian und Ulpius Victor zeigte sie auf, dass Vermögensstrafen im Römischen Reich oft grosse Summen umfassten, da bei Kapitalverbrechen nebst der Verhängung von Todesstrafen und dem Entzug des Bürgerrechts auch das ganze Vermögen des Delinquenten eingezogen wurde. Anklagen seien unter anderem erhoben worden, um die Konkurrenz auszuschalten. Ausserdem erhielt der Ankläger bei gewonnenem Prozess einen Anteil des Vermögens des Angeklagten. Doch wie wurde bei dieser Anklagepraxis die Situation des familiären Umfelds geregelt?

Die rechtliche Norm habe vorgesehen, dass Kinder, welche nicht in das Verbrechen ihres Vaters involviert waren, Anteile am Vermögen erhalten sollten. Wie gross diese Anteile waren, ist in der Forschung noch umstritten. Miriam Bastian schlug deshalb vor, den Blick von der Norm auf die Praxis zu lenken. Aus den Quellen – einem einzigen überlieferten Urteilsspruch sowie Informationen der antiken Historiografen, wie Tacitus oder Cassius Dio – geht hervor, dass die Nachkommen der Verurteilten einen Anteil am Vermögen erhielten. Wie gross dieser Anteil war, konnte von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Trotz dieser Uneinheitlichkeit kann man davon ausgehen, dass den Nachfahren meistens genug Kapital blieb, um ebenfalls eine Ämterlaufbahn zu finanzieren und politisch Karriere zu machen. Auffällig sei dabei jedoch, dass dies vor allem für das 1. Jahrhundert nach Christus galt. Im 2. Jahrhundert gelang es weniger Nachkommen von Delinquenten Karriere zu machen und im 3. Jahrhundert verschwanden sie fast gänzlich. Bastian geht deshalb davon aus, dass die Verurteilung des Vaters im 3. Jahrhundert sicher, im 2. Jahrhundert bereits teilweise einen Nachteil für das ökonomische wie auch das soziale Kapital der Nachkommen bedeutete.

FABIAN HENGGELER (Zürich) befasste sich in seinem Beitrag mit der Vermögensstrafe in der Rechtspraxis der alteidgenössischen Länderorte. Dabei betonte er, dass bezüglich der Vermögensstrafen in der alten Eidgenossenschaft vor allem Bussen die häufigste Art der Bestrafung darstellten. Jedoch müsse man dabei beachten, dass in der vormodernen Rechtspraxis des Niedergerichtswesens nicht in erster Linie die Bestrafung des Delinquenten im Vordergrund stand. Vielmehr wollte man einen adäquaten Ausgleich zwischen den Streitparteien erreichen, ohne dabei ein Ungleichgewicht zu erzeugen, das den inneren sozialen Frieden einer Gemeinschaft gefährdete. So ging es primär darum, die geschädigte Partei zu entschädigen. Auf eine zusätzliche Bestrafung des Delinquenten wurde meist verzichtet und somit wurde auch kaum ein fiskaler Nutzen aus der Strafe gezogen. Dafür wurde der Delinquent oft unter Androhung einer sehr hohen Geldstrafe dazu angehalten, sich an das Urteil des Gerichts zu halten. Nicht selten musste dieser auch noch Bürgen für einen solchen Fall des Eidbruches stellen, womit das soziale Umfeld wiederum einbezogen wurde.

Anhand von zwei Fallbeispielen veranschaulichte der Referent die oben erwähnten Aspekte der vormodernen Vermögensstrafe: Als erstes Beispiel wurde die Hafturfehde am Gerichtsfall von Rudolf Holzach in Zug Anfang des 15. Jahrhunderts erläutert. Dabei musste der Verurteilte unter Einbeziehung von Bürgen schwören, dass er sich in keiner Weise an der Gegenpartei rächen dürfte. Im Falle eines Eidbruchs von seiner Seite wäre eine hohe Geldsumme zu bezahlen gewesen, die nicht nur die soziale Stellung des Eidbrechers selbst gefährdet hätte, sondern auch die seiner Bürgen. Hier wurde die Geldstrafe also nur angedroht. Als zweites Beispiel wurde die Familienfehde besprochen. In diesem Fall aus dem 17. Jahrhundert handelte es sich um ein Tötungsdelikt zwischen zwei Vertretern einflussreicher Schwyzer Familien. Das Urteil sah dabei eine fünfjährige Verbannung sowie eine Geldzahlung vor, welche wohl von der gesamten Familie des Verurteilten getragen wurde. Bei Eidbruch stand der Gegenpartei die Blutrache offen. Der Befund, dass das Gericht die Tötung als nicht vorsätzlich betrachtete und zusätzlich Bemühungen erbracht wurden, die beiden Familien wieder zu versöhnen, verdeutliche die auf Ausgleich ausgelegte vormoderne Rechtspraxis.

Im Kommentar ordnete THOMAS LAU (Fribourg) das Panel in die geschichtswissenschaftliche Rechtsbetrachtung ein, womit er eine Brücke zur Einleitung schlug. Der rechthistorische und der historische Ansatz blieben aber eng miteinander verknüpft, weshalb er als Ergänzung vorschlug, auch in der historischen Forschung die juristischen Kategorien stärker zu berücksichtigen. Den Fokus auf die Geldstrafen zu legen sei für Historikerinnen und Historiker deshalb so interessant, weil in dieser immaterieller Schaden, Ehre, Leben und Arbeitskraft in ein zählbares Tauschmedium umgerechnet werden müsse. Die Analyse von Geldstrafen erlauben es deswegen, einen wichtigen Einblick in die Ökonomie des Immateriellen einer konkreten Epoche zu erhalten. Die unterschiedlich hohen Geldbeträge, die auch Miriam Bastian behandelt hatte, widerspiegeln das flexible Momentum von Geldstrafen. Dies ermögliche immer auch einen gewissen Verhandlungsspielraum. Dabei müsse auch in Betracht gezogen werden, welche neue Abhängigkeiten durch das Aussprechen von Geldstrafen entstanden und welche Akteure sich am Aushandeln der Strafen beteiligten.

Auch der zeichenhafte Charakter von Geld solle nicht vernachlässigt werden. Als Anregung für künftige Forschungen erwähnte Lau die Untersuchung der Praktiken der Bussenübergabe. Ausserdem sollten auch die nicht vollzogenen, also die nur angedrohten Geldstrafen, im Hinblick auf die verhaltensändernde Wirkung des Delinquenten untersucht werden.
Die Ausführungen zeigen, welches Potential in der Erforschung von Geldstrafen noch vorhanden ist. Die von den Referierenden angestrebte Perspektivenerweiterung stellte sich somit als sehr fruchtbar heraus, da sie auch das Spektrum für weitere Fragen und Ansätze öffnete.
 

Panelübersicht:

Barwitzki, Lukas-Daniel: Das „Soziale“ und die „Strafe“ – Einführung in das Panel

Bastian, Miriam: Existentielle Vermögensstrafen im Römischen Reich. Folgen für Macht und Reichtum des sozialen Umfelds

Henggeler, Fabian: Die Vermögensstrafe in der Rechtspraxis der alteidgenössischen Länderorte


Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen

Evènement
5. Schweizerische Geschichtstage
Organisé par
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Zürich
Date de l'événement
Lieu
Zürich
Langue
Allemand
Report type
Conference