Malz – Functional Food des bürgerlichen Zeitalters (1860 – 1914)?

Nom de l'auteur
Peter
Flückiger
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2022/2023
Abstract

Getreide begleitet die Menschheit seit ihrer Sesshaftwerdung. Das daraus entstehende Produkt Malz wurde nicht nur herangezogen, um daraus Bier zu brauen, sondern fand auch als Arzneimittel Verwendung. Mit der Industrialisierung und der Verwissenschaftlichung der Nahrungsmittelproduktion entstanden neue Forschungs- und Produktionsmöglichkeiten auf Herstellerseite. Der gesellschaftliche Zeitgeist der Untersuchungsperiode – insbesondere Diskurse über Hygiene und Gesundheit sowie Fragen der „richtigen‟ Ernährung – führte aber auch zu neuen Bedürfnissen der Konsument:innen. Die genauere Betrachtung des Malzes zeigt somit auch Verflechtungen auf, nicht nur hinsichtlich der kulinarischen Präferenzen, sondern auch des Lebensstils und der Kultur allgemein. Damit ist das Ziel der Arbeit eine Produktgeschichte am Beispiel Malz, wobei vor allem objektgeschichtliche Zugänge im Mittelpunkt stehen. Es handelt sich demnach nicht um eine klassische Firmen- oder Werbegeschichte, sondern um die Untersuchung einer Reihe von Produkten, wobei Malzextrakt im Zentrum steht. Gleichzeitig sollen aber auch Malzkaffee und sogenannte Gesundheitsbiere miteinbezogen werden, alles Produkte, die ab den 1860er Jahren entstanden. Malz konnte unter dem Einfluss von Wissenschafts-, Gesundheits- und Hygienediskursen in neuem Gewand – nicht mehr als Zutat, sondern als Markenartikel – die Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Functional Food erobern.

 

Um diese Entwicklungen nachzuzeichnen, orientiert sich die Arbeit an drei Leitfragen: Welche neuen Malzprodukte entstanden ab den 1860er Jahren, welches Wissen steckte dahinter und für welche Anwendungsbereiche wurden sie konzipiert? Wie wurden diese Produkte vertrieben und beworben, welche Ideen standen dahinter und wie wurden sie den Konsument:innen schmackhaft gemacht? Wie lassen sich diese neuen Produkte im Untersuchungszeitraum verorten und wie fügten sie sich ins gesellschaftliche Panorama ein? Gerade die Beschäftigung mit Ernährung sagt viel über die soziale Praxis und Gesellschaftsordnung aus. Die Untersuchung des Produktes Malz kann dementsprechend Einblicke in die Produktion, den Handel und Vertrieb sowie den Konsum der Malzprodukte sowie die daraus resultierenden gesellschaftlichen Verflechtungen bieten.

 

Die Arbeit verfolgt damit drei Ziele: Erstens wird die Geschichte des Malzes und der daraus entstandenen Produkte nachgezeichnet, also eine Forschungslücke für die Zeit vor 1900 zu Malzprodukten im Vergleich miteinander zu schliessen.

 

Zweitens wird das Malz als Prisma für einen Blick auf die Gesellschaft verwendet, um aufzuzeigen, wie sich diese Produkte in ihre Zeit eingefügt haben und welche Verknüpfungen und gegenseitigen Beeinflussungen es zwischen Mensch und Materie im Untersuchungszeitraum gab. Und drittens wird dargelegt, dass ein objektzentrierter Ansatz, der sich vor allem an den „Neuen Materialismen‟ orientiert, produktiv für historische Untersuchungen gemacht werden kann. Dabei wird ein methodisch-theoretisch breit abgestützter Zugang verwendet, wobei für die Untersuchung der Konsumstrategien auch Konzepte aus der Soziologie einfliessen.

 

Bei der Betrachtung von Malz wird nicht nur die Materie selbst, sondern durch sie auch der Wandel in Kulturen, fernen Mentalitäten, Handelszweigen, Vertrieben, Gesundheits- und Konsumgewohnheiten untersucht. Das Vorgehen, Malz als Objekt in den Fokus zu stellen, um das „bürgerliche Zeitalter‟ in der Schweiz untersuchen zu können, grenzt diese Masterarbeit von bisherigen Forschungsarbeiten ab.

 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch die Verwissenschaftlichung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert neue Malzprodukte auf den Markt kamen; Wissensproduktion und technologische Möglichkeiten bedingten und beeinflussten sich also gegenseitig. Zudem veränderte sich auch das gesellschaftliche Umfeld, wodurch eine grössere Nachfrage nach Produkten entstand, denen ein gesundheitlicher Zusatznutzen zugeschrieben wurde. Diese Produkte wurden in der Folge immer stärker normiert. Damit kann eine Positionierung des Malzes zwischen Arznei- und Lebensmittel fassbar gemacht werden, nicht nur als Markensondern auch als Reformprodukt. An den untersuchten Malzprodukten zeichnen sich somit die Leitdiskurse und Umbrüche der betrachteten Zeit in kondensierter Form ab, einer Epoche, in der sich die Moderne ausbildete, die aber gleichzeitig in der Tradition verhaftet war.

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