Angesichts des Bürgerkrieges in Sri Lanka von 1983 bis 2009 flüchteten zehntausende Tamil:innen in die Schweiz. Zwar war es nie ihre Absicht, in der Schweiz zu bleiben, doch aufgrund des Kriegsverlaufes blieb es ihnen verwehrt, in einen eigenen Staat namens Tamil Eelam auf der Insel zurückzukehren. Trotzdem gelang es diesen Flüchtlingen in der Schweiz Fuss zu fassen, auf den Schweizer Arbeitskräftemangel ab den 1980er Jahren einzugehen, Familien zu gründen und ihre Kinder grosszuziehen, die heute die zweite Generation in der Schweiz ausmachen.
Diese zweite Generation, insbesondere die tamilischen Frauen der zweiten Generation, stehen im Zentrum dieser Arbeit. Mithilfe von drei Oral History-Interviews wurde untersucht, wie das Aufwachsen als Tamilinnen der zweiten Generation in der Schweiz erlebt wurde, ob an die Migrationsgeschichten der Eltern während des Aufwachsens erinnert wurde und welche von diesen gehörten wie auch selbst gelebten Erfahrungen an nachkommende Generationen weitergegeben werden sollten. Diesbezüglich wurden vor allem die Erinnerungskulturen dieser Frauen erforscht, zur Beantwortung der Fragen allerdings auch weitere theoretische Zugänge aus der Soziologie, Sozialanthropologie, Philosophie wie auch aus den Gender Studies herangezogen. Dazu gehören das Konzept der Transkulturalität laut Wolfgang Welsch, der Habitus nach Pierre Bourdieu, „doing gender“ gemäss Judith Butler sowie das Bühnenmodell von Erving Goffman. Dementsprechend ist diese Arbeit interdisziplinär angesiedelt, um die Erzählungen der Interviewpartnerinnen auf mehreren Ebenen zu erklären.
Im Einzelnen kann in dieser Arbeit nachgewiesen werden, dass die individuellen Erfahrungen während des Aufwachsens sowohl das Ausmass vom Interesse an der Migrationsgeschichte der Eltern beeinflussten wie auch die Haltungen prägten, inwiefern erfahrene Traditionen sowie weitergegebene Normen und Werte weiterhin gepflegt werden sollten. Es stellte sich heraus, dass die interviewten Tamilinnen der zweiten Generation kein grosses Interesse an den Migrationsgeschichten ihrer Eltern während ihres Aufwachsens entwickelten, zumal sie sich schon genug mit Mobbingerfahrungen, Zugehörigkeitsfragen, vorgegebenen Weiblichkeitsvorstellungen und anderen gesellschaftlichen wie auch elterlichen Erwartungen zu beschäftigen hatten. Das Erinnern an die Elterngeschichte bedeutete für sie letztendlich, sich mit der eigenen Migrationsbiographie zu beschäftigen, was nicht immer mit gleichem Interesse verfolgt wurde. Erst im erwachsenen Alter fing die freiwillige Auseinandersetzung damit an, sodass es sich dabei noch nicht um einen abgeschlossenen Prozess handelt.
Bezüglich dem Weitergeben von gelebten wie auch gehörten Erfahrungen kommt diese Arbeit zum Schluss, dass nur diese weiterhin Beachtung finden, die während des Aufwachsens selber gerne gepflegt wurden oder zumindest gerne gepflegt worden wären. Demnach handelt es sich um eine individuelle Aushandlung, welche Aspekte aus der Vergangenheit, seien diese die Migrationsgeschichten wie auch die gelebten Traditionen, Normen und Werte, an nachkommende Generationen weitergegeben werden sollten.