Vom „Problem Schiene – Strasse“ zum „Gemeinsam statt gegeneinander“. Die Geschichte und die Arbeit des Informationsdienstes für den öffentlichen Verkehr LITRA von 1935 bis heute

Nom de l'auteur
Sibylle
Buess
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2022/2023
Abstract

Der öffentliche Verkehr in der Schweiz befand sich 1935 in einer schwierigen Lage. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden privaten Strassenverkehrs, der mit den Bahnen besonders im Güterverkehr konkurrierte, gerieten diese in finanzielle Gefahr. Eine Gruppe von Wirtschaftsvertretern, Parlamentariern und interessierten Privatpersonen schloss sich deshalb zusammen, um sich politisch für die Interessen der Bahngesellschaften einzusetzen, und gründete die Schweizerische Liga für rationelle Verkehrswirtschaft bzw. Ligue suisse pour l’organisation rationelle du trafic, kurz LITRA (seit 1977: Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr). Seit 1949 sieht sich die LITRA als Interessenvertretung für den gesamten öffentlichen Verkehr.

 

Die Masterarbeit arbeitet anhand bisher nicht untersuchter Quellen aus dem Privatarchiv der LITRA die Vereinsgeschichte auf und untersucht die konkrete Arbeit und ihre Weiterentwicklung als Lobbyorganisation für den öffentlichen Verkehr mithilfe netzwerkanalytischer Ansätze. Die zahlreichen Quellen aus dem Privatarchiv der LITRA wurden mit solchen aus dem Schweizerischen Bundesarchiv in Bern und solchen aus dem Archiv der Schweizerischen Bundesbahnen SBB in Windisch ergänzt.

 

Es wird deutlich, dass die Geschichte der LITRA eng mit der schweizerischen Verkehrsgeschichte und der schweizerischen Verkehrspolitik verbunden ist. Die LITRA wurde 1935 mit drei Zielen gegründet: Das Eisenbahngesetz von 1872 sollte revidiert werden, die Bahnen sollten finanziell saniert werden und es sollte eine gesetzlich festgelegte Verkehrsordnung zwischen Strassen- und Schienenverkehr hergestellt werden. Obwohl die LITRA im Verlauf ihres Schaffens alle ursprünglich formulierten Ziele erreichen konnte, blieben diese als ihre übergeordneten Bestrebungen bestehen. So konnte das Eisenbahngesetz 1957 revidiert werden, musste jedoch seither regelmässig an neue Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Sanierung der Bahnen konnte 1939 für die Privatbahnen, bzw. 1944 für die Schweizerischen Bundesbahnen SBB, erreicht werden. Auch dieses Anliegen wurde in der Geschichte der LITRA immer wieder aktuell und musste an neue verkehrspolitische Rahmenbedingungen adaptiert werden. Zuletzt konnte auch das ursprüngliche Ziel einer umfassenden Verkehrsordnung mit der schrittweisen Umsetzung der schweizerischen Gesamtverkehrskonzeption in den 1980er und 1990er Jahren umgesetzt werden. Doch auch dieses Anliegen blieb bis heute bestehen und wurde im verkehrspolitischen Prozess immer wieder thematisiert – genannt seien etwa die aktuellen Bestrebungen in der Verlagerungspolitik von der Strasse auf die Schiene. Dabei konnte herausgearbeitet werden, dass sich die politische Arbeit der LITRA verändert hat. Nachdem mehrere komplexe Vorlagen an der Urne scheiterten, lernte sie in kleinen Schritten vorwärtszugehen.

 

Die LITRA bediente sich früh der Strategien einer Lobbyorganisation und setzte auf ihr Netzwerk, um die nationale Verkehrspolitik im Sinne des öffentlichen Verkehrs zu beeinflussen. In den Verbandsorganen haben sich seit jeher Branche und Politik getroffen und zusammengearbeitet. Dabei wurden die Netzwerke der Verbandsmitglieder genutzt und Kontakte zu Bundesrat, Parlament, Verwaltung und Wirtschaft aktiv gepflegt. Durch die Mitwirkung von Parlamentarier:innen im Verband war der frühe Einbezug der LITRA in die politische Arbeit jederzeit sichergestellt.

 

Auffällig ist, dass sich die Art und Weise, wie die LITRA Lobbying betreibt, geändert hat. Die politische Arbeit wurde zunächst im Hintergrund geleistet und war durch Intransparenz gezeichnet. So gab es beispielsweise lange keine öffentlich zugänglichen Mitgliederlisten. Obwohl das Netzwerk aktiv genutzt wurde, achtete die LITRA darauf, dass dieses in der Öffentlichkeit nicht sichtbar war. Der Fokus lag auf der Durchsetzung von Partikularinteressen und die Gegnerschaft, die Interessensvertretungen des privaten Strassenverkehrs, war klar definiert. Im Laufe der Zeit fand ein Öffnungsprozess statt. Die LITRA passte die Verbandsstrukturen an, professionalisierte die Geschäftsstelle, institutionalisierte dabei den Austausch zwischen Branche und Politik und zeichnet sich heute durch eine mehrheitlich transparente Information der Arbeit und des Netzwerkes aus. Der persönliche Austausch, der im Hintergrund passiert, blieb dabei weiterhin zentral. Die Partikularinteressen wurden durch einen ganzheitlichen Ansatz abgelöst: Der LITRA wurde bewusst, dass eine umfassende Verkehrspolitik nur unter Einbezug der Interessensvertretungen aller Verkehrsträger erreicht werden kann.

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