Mutterschaft und "weibliche" Erwerbstätigkeit als "Generalmobilmachung der Frauenseele". Bildungsbestrebungen der Berner Pädagogin Helene Stucki (1889-1988) für das weibliche Geschlecht

Nom de l'auteur
Susanne
Buri
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Albert
Tanner
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
1996/1997
Abstract

Die Bernerin Helene Stucki - 1931 bis 1960 Lehrerin am Mädchenseminar Marzili - trug mit ihrem Engagement für die Mädchen- und Frauenbildung entscheidend zur Verbesserung der schulischen Allgemeinausbildung der Mädchen sowie zur Erweiterung der Berufsbildungsmöglichkeiten für Frauen in der Schweiz und insbesondere im Kanton Bern bei. Ebenso leistete sie einen wichtigen Beitrag zur rechtlichen und ökonomischen Besserstellung der Lehrerinnen. 1965 ernannte sie die Universität Bern denn auch zur Ehrendoktorin für ihre Verdienste in der Mädchen- und Frauenbildung. Ihre Forderung und Betonung spezifisch weiblicher Bildungsinhalte, die auf dem herrschenden dualistischen Geschlechtermodell der bürgerlichen Gesellschaft basierten, sowie ihr im Zuge der Geistigen Landesverteidigung entstandenes Leitbild der „geistigen Mutterschaft'', womit sie die immer stärker unter Beschuss geratene weibliche Erwerbsarbeit in den „weiblichen" Bereichen Erziehung, Pflege und Soziales zu legitimieren suchte, erweiterten z.war die Berufsbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen, hatten jedoch gleichzeitig eine geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes in dienstleistende und zudienende „Frauen"- und prestigeträchtige „Männer''berufe zur Folge. Zudem wirkte sich das Argumentieren mit dem dualistischen Geschlechtermodell hinsichtlich politischer Gleichstellung der Frauen mittelfristig eher negativ aus. 

 

Hauptziel der Arbeit ist die Analyse der Bildungskonzepte Helene Stuckis für das weibliche Geschlecht. Ihre Bildungsbestrebungen werden in den Kontext der Aktivitäten der bürgerlichen Frauenbewegung und deren Vorstellungen über die Rolle der Frau in Gesellschaft und Politik gestellt; deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sowie auf die Gleichstellung der Frau werden untersucht. Die Arbeit will am Beispiel Helene Stuckis, die wie viele Frauen der Stimmrechtsbewegung ledig blieb, ebenso einen Einblick in die Lebenssituation und -gestaltung lediger und erwerbstätiger Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben. Die Quellenbasis der Arbeit bildet der Privatnachlass Helene Stuckis im Gosteli-Archiv Worblaufen sowie deren gedruckte Aufsätze und Vorträge. Mithilfe von Interviews mit zwei ehemaligen Schülerinnen versuchte ich, die Umsetzung von Helene Stuckis theoretischen Bildungskonzepten, die Ambivalenz ihrer bildungsbürgerlichen Ansprüche und hohen Sittlichkeitsvorstellungen sowie deren Wirkung auf die Schülerinnen aufzuzeigen.  

 

Helene Stucki war, wie die Analyse der Rezeption ihrer Ansichten und Vorstellungen sowie ihre Rolle in den Frauen- und Lehrerinnenorganisationen zeigte, ab 1920 eine der wichtigsten ,.Meinungsmacherinnen" der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie entwarf und formulierte die Bildungskonzepte des progressiven Flügels der Frauen(bildungs}bewegung, sie propagierte und legitimierte die Erweiterung weiblicher Berufsbildungsmöglichkeiten über verschiedenste Kanäle. Die Argumentationsweise H. Stuckis wie der Frauenbewegung allgemein war stark geprägt von der sozioökonomischen Krise und der Geistigen Landesverteidigung der 30er und 40er Jahre. Zu ihrer Legitimation liesssen sich die organisierten Frauen stark auf die Geistige Landesverteidigung ein, um mit ihren Forderungen endlich durchzudringen. Besonders deutlich wird dies beim Hauswirtschaftsunterricht, der von den gemeinnützigen Frauenverbänden bereits Ende des 19. Jahrhunderts gefordert wurde, in Helene Stuckis Bildungskonzept aber erst im Zuge der Geistigen Landesverteidigung ab Mitte 30er Jahre einen höheren Stellenwert erlangte. Ähnlich verhielt es sich mit dem staatsbürgerlichen Unte richt für Mädchen, den sie bereits in den 20er Jahren forderte, der aber erst mit ihrem Bezug auf die Ideen der Geistigen Landesverteidigung zwischen 1936 und 1945 eine breitere Akzeptanz bei Frauenbewegung und Behörden fand. Wie sich anhand ihrer Schriften nachweisen liess, sprach sie nun nicht mehr von staatsbürgerlichem Unterricht sondern von nationaler Erziehung. So sollten die Mädchen nun mittels nationaler Erziehung auf ihre nationale Verantwortung als Mutter, Hausfrau und Erzieherin der nachfolgenden Generation vorbereitet und in ihrer Heimat- und Vaterlandsliebe gestärkt werden. Nicht mehr als Staatsbürgerinnen, sondern als Mütter und Hausfrauen sollten sie nun ihren häuslichen Raum verlassen, um dem Staat zu dienen. H. Stucki hat sich in ihrer Argumentationsweise relativ pragmatisch der Ideen der Geistigen Landesverteidigung bedient, in der Hoffnung, dass durch die nationale Betonung weiblicher Erziehungsleistungen sowie der Mitarbeit der Frauen im Staat bei den Behörden und dem männlichen Stimmvolk die Bereitschaft wachsen würde, den Frauen das Stimmund Wahlrecht zuzugestehen. Doch die Rechnung Helene Stuckis und breiter Teile der Frauenbewegung ging nach Ende des zweiten Weltkriegs nicht auf. Offensichtlich liess sich die politische Diskriminierung der Frauen mit dieser Argumentationsweise nicht aufbrechen, ja vielmehr schien sie konservative dualistische Frauen- und Männerbilder eher noch verstärkt als die gewünschte politische Gleichstellung gefördert zu haben. 

 

Helene Stucki und die bürgerliche Frauenbewegung erreichten zwar mit ihrer auf der Theorie der natürlichen Geschlechterdifferenz basierenden Argumentation zweifelsohne eine Verbesserung der Ausbildung von Mädchen und Frauen sowie eine klare Ausweitung weiblicher Berufsmöglichkeiten, doch letztlich zementierte dieser Diskurs immer wieder die Rückbindung der verheirateten Frauen auf Familie und Haushalt sowie der ledigen Frauen auf die spezifisch weiblichen Berufsbereiche. 

 

In ihrer Funktion als Lehrerin half Helene Stucki mit, das bürgerliche Konzept der unterschiedlichen Geschlechtscharaktere von Frau und Mann als „natürlich" gegeben an Generationen von Schülerinnen weiter zu transportieren und damit die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Frau (unbezahlte Familienarbeit} und Mann (Lohnarbeit} zu etablieren und zu zementieren. Auf der andern Seite half Helene Stucki aber aufgrund ihrer eigenen, keineswegs dem Weiblichkeitsideal entspre chenden Lebensweise (ledig, kinderlos, qualifizierte Erwerbsarbeit, öffentliches Engagement in Frauenbewegung) unbewusst mit, die engen Schranken der bürgerlichen Frauenidealrolle aufzuweichen. Theoretisch fühlte sie sich jedoch dem sie einengenden bürgerlichen Weiblichkeitsideal verpflichtet. Helene Stucki stand offensichtlich in einem ständigen Konflikt zwischen internalisiertem bürgerlichen Weiblichkeitsideal und eigener Lebensführung, welcher sich im Zuge der auf Rückbindung der Frauen an Haus und Herd abzielenden Geistigen Landesverteidigung massiv verschärfte. 

 

 

 

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