Opposition gegen den Nationalstrassenbau: Wandel von Sichtweise,Umweltbewusstsein und politischem Stil am Beispiel der Nationalstrasse N13 Reichenau-Thusi

Nom de l'auteur
Rafael
Brand
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
1997/1998
Abstract

Als 1964 das erste generelle Projekt der Nationalstrasse N13 Reichenau-Thusis in die Vernehmlassung ging, gab es nur wenig Oppostion. Die Einwände seitens der Gemeinden waren punktueller Art und beinhalteten vor allem wirtschaftliche Aspekte und die Frage der Autobahnanschlüsse. Um die Wende der 70er Jahre änderte sich das grundlegend. Ausgehend vom Neuen Forum Domleschg Heinzenberg (NFDH) entwickelte sich innert kurzer Zeit starke, grundsätzliche Opposition. Eine Koalition verschiedener politischer Gruppierungen, Gemeinden und Bundesämtern wehrte sich erfolgreich gegen die Autobahnpläne der Bündner Regierung, die auf die eigentliche Anliegen der Domleschger Gemeinden, auf Landschaft und Menschen nur wenig Rücksicht nahm.

 

Die Opposition war ein Erfolg auf allen Ebenen: Im März 1975 fällte der Bundesrat seinen Entscheid zur Linienführung durch die Rhäzünser Rheinauen - eine der letzten ursprünglichen Auen- und Fluss landschaften in der Schweiz von nationalem und europäischem Wert. Gegen den Willen der Bündner Regierung entschied sich der Bundesrat für einen „millionenschweren" Umfahrungstunnel und eine zweispurige Autostrasse, statt einer vierspurigen Autobahn mit offener Linienführung durch die Rheinauen. Schon vorher mussten die Bündner Kantonsbehörden die Linienführung durchs Domleschg korrigieren: Der breitabgestützten Oppostion gelang es, dass auf die eigentlichen Anliegen der Wohnbevölkerung und Gemeinden schliesslich Rücksicht genommen wurde. Und nach 20 Jahren machte sich auch der konsequente Einsatz der Gemeinde Sils i.D. für einen Tunnel zur Umfahrung des Dorfes ausbezahlt. Die Widerstand gegen die N13 im Domleschg war eine perfektionistische Opposition: Es gelang Maximalforderungen durchzusetzen.

 

Die Oppositon gegen die N13 ist eine Erfolgsstory, die aufzeigt, wie sich anfangs der 70er Jahre Sichtweise, Umweltbewusstsein und politischer Stil innert weniger Jahre grundlegend wandelten. Damit ist die Fragestellung der vorliegenden Lizentiatsarbeit umschrieben. Als Quellenbestände dienten Akten des Bundesamtes für Strassenbau (AFS), des Tiefbauamtes Graubünden (TBA) und der Gemeinde Sils i.D. sowie zahlreiche Zeitungsartikel. Das Bundesarchiv und das Archiv des Kantonalen Tiefbauamtes wiesen grosse Lücken in den Quellenbeständen auf.

 

Nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse:

Seitens der projektierenden Behörden standen durchwegs wirtschaftliche, finanzielle und verkehrstechnische Aspekte im Vordergrund. Im Sinne eines Lernprozesses veränderten sich um die Wende der 70er Jahre vor allem beim ASF, später auch beim Tiefbauamt Graubünden die Auffassung dahin, dass der Nationalstrassenbau ökologischen Gesichtspunkten im weitesten Sinn Rechnung tragen muss. In diesem Sinn fand eine Demokratisierung bei der Projektierung von Nationalstrassen statt.

 

Die Anliegen zu den zwei generellen Projekten in den 60er Jahren waren punktueller Art. Die Einwände der Gemeinden bezogen sich vor allem auf die Anschlussfrage. Allerdings wurden bereits einzelne Einwände bezüglich Lärmimmissionen und Landschaftsschutz geäussert. Es wurde auf die Berücksichtigung der Vernehmlassungen vertraut. Auch zur Linienführung in den Rhäzünser Rheinauen wurden anfänglich punktuelle Forderungen angebracht. Durch Projektverbesserungen sollte die ursprüngliche Auen- und Flusslandschaft bestmöglichst geschont werden.

 

Ein wichtiger Wendepunkt war die Eröffnung des San-Bernardino-Tunnels im Herbst 1968 und der damit verbundenen massiven Zunahme des Strassenverkehrs: Die Auswirkungen der zukünftigen N13 auf Menschen, Landschaft und Umwelt wurde immer breiteren Bevölkerungskreisen schlagartig bwusst.

 

Als der Regierungsrat anfangs 1972 in aller Eile ein neues Projekt beschloss und die eigentlichen Anliegen wiederum nicht berücksichtigte, formierte sich geschlossener Widerstand gegen das kantnale Projekt.

 

Der Widersand formierte sich ausserhalb der etablierten Bündner Politlandschaft. Das Neue Forum als Quereinsteiger bediente sich eines basisdemokratischen Politstils und löste mit seiner kritischen Gesamtschau zur N13 eine Grundsatzdiskussion aus und schaffte erstmals Gegenöffentlichkeit. Es zeigte sich, dass ökologische Ansichten im weitesten Sinn nur zögerlich ins bestehende Politsystem antizipiert wurden.

 

Der Widerstand erhielt entschiedene Unterstützung durch erst kürzlich geschaffene Ämter auf kantonaler und nationaler Ebene sowie nahmhaften nationalen Umwelt-organisationen. Bei der sich formierenden Opposition entwickelten sich wirkungsvolle Synergien zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Umweltkreisen.

 

Bei den nationalen Zeitungen kam es 1972 zum Meinungswandel hin zur kritischen Gegenöffentlichkeit: Die umstrittene Linienführung der N13 im Domlelschg wurde zum nationalen Thema. Eine sehr wichtige Rolle spielte das visualisierende Moment: Besichtigungen, Profilierungen, Fotos und Fotomontagen. Bei der Auseinandersetzung um die N13 wurden auch grundsätzlich-gesellschaftliche Fragen gestellt, das heisst, ob sich Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auf dem richtigen Weg befinden. 

 

Die Gemeinde Sils bediente sich gezielt einem aktiven Politinstrumentariums. Die Gemeindevertreter wussten um die Bedeutung politischen Marketings. 

 

Das Beispiel N13 im Domleschg zeigt, dass Opposition notwendig war, um eine für alle tragbare Linienführung zu finden. Damit Mensch, Landschaft und Umwelt bei der Projektierung berücksichtigt wurden, brauchte es Druck aus dem Volk und von ausserhalb des Politestablishments.

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