Regelbuch und Observanz. Der Codex A 53 der Burgerbibliothek Bern als Reformprogramm des Johannes Meyer für die Berner Dominikanerinnen

Nom de l'auteur
Claudia
Engler
Type de travail
Thèse
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Pascal
Ladner
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
1996/1997
Abstract

Nach einer Zeit des grossen Aufschwungs im 13. Jahrhundert zeigte der Dominikanerorden um etwa 1300 erste Abnützungserscheinungen, die sich während des 14. Jahrhunderts zunehmend verstärkten und den Orden in eine Krise führten. Im Zusammenhang mit der Forderung der Zeit nach einer allge meinen Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern versuchten Reformkräfte am Ende des 14. Jahrhunderts den Orden zu seinen alten Leitbildern - Gehorsam, Gemeinschaftsleben, Armut und Klausur - zurückzuführen. Nach der Überwindung des grossen Kirchenschismas und der Abkehr der Reformer von radikalen Positionen gelang es einer gemässigteren Reformbewegung ab den späten zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts die meisten dominikanischen Frauen- und Männerkonvente der deutschen Ordensprovinz für sich zu gewinnen. Nachdem sich im Jahre 1419 der Berner Domini kanerkonvent der Observanz angeschlossen hatte, trat der Reform zwei Jahrzehnte später auch das Berner Dominikanerinnenkloster St. Michael an der Insel bei. Das einzige Frauenkloster der Stadt Bern war 1286 gegründet worden, nach vielen Schwierigkeiten gelang es jedoch erstmals mit der Reform 1439 ein klausiertes Klosterleben zu verwirklichen, anlässlich der Reformation 1528 wurde das Kloster aufgelöst. Vom ehemaligen Buchbesitz des Klosters blieb nur der Codex A 53 in Bern, die übrigen Handschriften sind mit wenigen Ausnahmen verschollen. Als sogenanntes „Regelbuch" enthält der Codex volkssprachige Übersetzungen der Dominikanerinnenverfassung (Augustinusregel und Konsti tutionen), eine Urkunden- und Briefsammlung, Reformverordnungen, eine Klosterchronik und einen Liber vitae, d.h. ein ausserliturgisches Totenverzeichnis aller bekannten Schwestern des Klosters. Der Codex A 53 steht im direkten Zusammenhang mit der Einführung des observant reformierten Lebens im Inselkloster: Er wurde in der Mitte des 15. Jahrhunderts im Inselkloster selbst geschrieben, mit grösster Wahrscheinlichkeit von der von 1445 bis 1461 amtierenden Priorin Anna von Sissach. Die Niederschrift und die Auswahl der Texte als Redaktor veranlasst und als Autor teilweise selbst verfasst hat der bekannte observante Ordenschronist Johannes Meyer (1422 -1485), der vermutlich nach 1450 bis etwa 1458 im Anschluss an seine Priesterweihe mehrere Jahre als Beichtvater im Berner Inselklo ster amtete. Mit dem Regelbuch der Inselschwestern veränderte Johannes Meyer das bisher in den Dominikanerinnenklöstern gebräuchliche Regelbuch tiefgreifend, indem er es sowohl umfassend in haltlich erweiterte wie qualitativ und funktional aufwertete. Seine Vorgaben wurden schnell von andern observanten Dominikanerinnenklöstern übernommen. Am Ende der von Johannes Meyer massgeblich beeinflussten Entwicklung des Regelbuches stand einerseits eine in ihren Statuten und Gewohnheiten weitgehend vereinheitlichte Gruppe von observanten Frauenklöstern, andererseits eine verstärkte organisatorische Beziehung und Anpassung des observanten weiblichen Ordenszweiges an die Strukturen des Observanten männlichen Ordenszweiges. Dieses unter den Bedingungen der Obser vanz intensivierte Verhältnis entwickelte sich parallel und in Verwandschaft und enger Verzahnung mit andern zeitgenössischen, herrschaftlichen Konzentrations- und lntensivierungsprozessen.

 

Der Textgrundbestand des vorobservanten Regelbuches (Augustinusregel und Konstitutionen) wurde zunächst ergänzt durch die mit der Observanz im Zusammenhang stehenden Reformverordnungen (Ordinationen), die in differenzierter Weise observante Verhaltensweisen im administrativen, wirt schaftlichen, disziplinären und liturgischen Alltag bestimmten. Mit den Reformordinationen verbanden die Observanten auch einen exklusiven Anspruch auf die korrekte Interpretation von Ordensreform und distanzierten und profilierten sich damit gegenüber anderen Reformansätzen im Orden.

 

Weiter ins Regelbuch aufgenommen wurden Reformordinationen im weiteren Sinne wie das „Ämterbuch", eine eingehende Beschreibung aller Klosterämter von Johannes Meyer, ferner geistliche Traktate, Predigten und nicht zuletzt historische Dokumente wie die Klosterchronik oder der Liber vitae.

 

Diese Erweiterung des Regelbuchs stand in enger Verbindung mit der neuen Funktion des Regelbuches in der Observanz und war ebenso Ausdruck einer sich im Vergleich zum 13. Jahrhundert allge mein intensivierten Schriftlichkeit im 15. Jahrhundert, wie sie sich bei den Dominikanerinnen unter anderem auch in der sogenannten „Literaturexplosion" äusserte. Teil des durch die Observanz angestrebten Erneuerungsprozesses war prioritär die Wiederherstellung eines in ihrem Sinne institutionell korrekten Klosterlebens, was sich zuerst in einem intensiverten Einsatz der traditionellen Rechtsin strumente gegenüber den Dominikanerinnen auswirkte und in Folge dessen auch einen intensivierten Einsatz von Schriftlichkeit im Normenbereich bei den Dominikanerinnen verlangte. Die Lektüre des Regelbuches wurde neu stärker und gezielter in den klösterlichen Alltag eingebaut (Lehrbuch für Novizinnen, Kapitel und Tischlesung). Die Lesung aus den Rechtstexten verband sich gleichzeitig mit der Erinnerung und der Stilisierung der Ordensanfänge, der Übernahme zeitgenössischer Frömmigkeitsformen und einer intensivierten seelsorgerlichen Betreuung der Dominikanerinnen, was die Aufnahme von historischen Texten, geistlichen Trakten und Predigten erklärt. Eine neue Verschmelzung von Reform und Historiographie versuchte Johannes Meyer durch eine funktionale Neudefinition des frühmittelalterliche, liturgischen Liber vitae zur ausserliturgischen Totenmemoria. Ziel dieser Verbindung war die Wiederherstellung der Observantia regu/aris sowohl in ihrer normativen Ausgestaltung wie in ihrem geistlichen Verständnis.

 

Der Codex A 53 ist noch in einer anderen Hinsicht von grosser Bedeutung, da er mit wenigen Ausnahmen die entscheidenden und teilweise unikalen observanten Rechtsdokumente bis ins Jahr 1463 enthält. Anhand dieser Dokumente lässt sich die Entwicklung der Reformordinationen für die observanten Dominikanerinnen wie darüber hinaus Reformdiskurs, Reformträger und Institutionalisierung der Observanz und teilweise anderer Reformansätze wie der von konventualen Reformen verfolgen.

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