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Die Dissertation untersucht die Geschichte der Corporate Governance in der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Thematik wurde noch nie umfassend und in einer historischen Perspektive betrachtet. Es geht darum, wie Unternehmen kontrolliert wurden und welchen Interessen sie dienten. Die Rechte und Pflichten der Manager, der Aktionäre und der Arbeitnehmer stehen im Zentrum. Meine Arbeit betrachtet erstens den rechtlichen Rahmen der Corporate Governance in der Schweiz und zweitens die entsprechenden Praktiken von Grossunternehmen. Somit leistet die Dissertation ebenso einen Beitrag zur Schweizer Unter-nehmens- und Wirtschaftsgeschichte wie auch zur politischen Geschichte vor allem der Zwi-schenkriegszeit.
Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit der Entwicklung des Aktienrechts, das die rechtliche Grundlage der Corporate Governance bildet. Anhand der politischen Diskussionen um die Aktienrechtsrevision von 1936 zeige ich, wie sich das Bild von der optimalen Unternehmens-verfassung veränderte. Während im alten Aktienrecht von 1881 der Schutz der Aktionäre im Zentrum stand, verlagerte sich der Schwerpunkt im Aktienrecht von 1936 auf den Schutz des Unternehmens oder das „Unternehmensinteresse“. Faktisch standen damit die Interessen der Insider im Unternehmen, vor allem der Manager und der Grossaktionäre, im Vordergrund. Die Interessen der Arbeitnehmer waren mit dem „Unternehmensinteresse“ wenigstens teil-weise kompatibel, die als „Spekulanten“ geltenden Minderheitsaktionäre galten dagegen nicht als legitime Anspruchsgruppe. Diese Insider-orientierte Corporate Governance war geprägt durch die Abschottung der Unternehmen gegen aussen und durch die Abwehr von wirtschaft-licher „Überfremdung“, die durch aktienrechtliche Instrumente wie die „Vinkulierung“ von Namenaktien bewerkstelligt wurden. Den Endpunkt meiner Untersuchungen bildet das Jahr 1961, das mit der Konsolidierung des schweizerischen Corporate-Governance-Systems durch wichtige Wirtschaftsverbände eine wichtige Phase in der Geschichte der Schweizer Unter-nehmensverfassung abschliesst.
Eine ebenso eklatante Forschungslücke wie beim Aktienrecht besteht auf der Unternehmens-ebene, bei den Corporate-Governance-Praktiken. Aufgrund von Jahrbüchern, Presseartikeln und Archivquellen untersuche ich für Grossunternehmen der Industrie quantitativ wie qualita-tiv Aspekte wie die Organisation und Kontrolle der Unternehmensleitung, die Beziehungen zwischen Unternehmen und Aktionären, die Bedeutung von Bankkrediten und Börse für die Finanzierung sowie Unternehmens-Netzwerke. Diese Themenfelder hat die Unternehmensge-schichtsschreibung bisher nur sehr am Rande behandelt. Als wichtiges Resultat lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Unternehmensverfassung und der internationalen Tätig-keit der Schweizer Industrie festhalten: Dank der verbreiteten Selbstfinanzierung und der starken Stellung der Unternehmensleitung gegenüber den Aktionären konnte sich die Schwei-zer Industrie auch in aussenpolitisch schwierigen Zeiten international behaupten.
Onlinepublikation: http://www.ub.unibas.ch/digi/a125/sachdok/2011/BAU_1_5587831.pdf