Dissertation im Rahmen des NF-Projekts "Unsichtbare Feinde – infizierte Körper: Politische Metaphern in Bakteriologie und Immunologie, 1880-1950" (Leitung: Prof. Philipp Sarasin)
Anfangs der 1940er Jahre spielt Dennis Berend, Sohn einer Deutschen und eines Juden, mit seinen Freunden Indianer. Als es darum geht, Blutbrüderschaft zu schliessen, darf er nicht mehr mitspielen. Sein Blut ist nicht so gut wie ihres, wie sie sagen.
(Meyer, "Jüdische Mischlinge" (1999), 302)
Metaphern sind wirkungsmächtig. Während für Dennis Berend der Ausschluss lediglich beim Indianerspiel erfolgte, nahm die Metapher des "reinen Blutes" während des Nationalsozialismus für Millionen von Menschen, die mit ihrem "rassenfremden Blut" die "deutsche Rassenreinheit" bedrohten, einen tödlichen Verlauf. Das "deutsche Blut" erwies sich als entscheidendes Kriterium des Ausschlusses.
Die Dissertation behandelt die Metapher des reinen und des gemischten Blutes in medizinischen und literarischen, allenfalls auch soziologischen und juristischen Texten. Dabei wird mit der neueren Wissenschaftsforschung angenommen, dass diese verschiedenen Diskurse nicht als voneinander abgekoppelt, sondern vielmehr als interdependent und interagierend zu bezeichnen sind.
Ausgegangen wird von medizinischen Forschungsfeldern, in welchen die Metapher des reinen Blutes eine Rolle spielt. Angeknüpft wird dabei an George Lakoff und Mark Johnson, welche in "Metaphors We Live By" (1980) von "metaphorical concepts" sprechen. Das Interesse liegt in einem ersten Schritt auf der konzeptionellen Ebene: Wie strukturiert die Metapher des reinen Blutes ein medizinisches Forschungsfeld? Wie wird daran anschliessend von Blut gesprochen, welche Begriffe oder Metaphern werden dabei verwendet? Welche diskursiven Regelmässigkeiten ergeben sich (Michel Foucault)?
In einem zweiten Schritt interessiert, welche Bedeutungsfelder der Begriff Blut transportiert (aus der Literatur, dem Christentum, der Humoralpathologie....); hier wird an Max Blacks Interaktionstheorie (1954) angeschlossen sowie der polysemische Charakter von Sprache in die Analyse miteinbezogen.
In der Immunologie findet sich die Metapher des reinen Blutes auf konzeptioneller Ebene in der Blutgruppenforschung. Beginnend mit den Untersuchungen von Ludwik und Hanka Hirszfeld an der mazedonischen Front während des Ersten Weltkriegs, formierte sich die sogenannte Seroanthropologie. Diese Forschung versuchte eine "serologische" Rassedifferenz aufzeigen, d.h. eine Rassedifferenz, welche auf Blutgruppen basierte.
Problem dieser Forschungen war allerdings, dass sich nirgends ein "reinblütiges" Geschlecht finden liess, d.h. eine "Rasse", die nur eine einzige Blutgruppe aufwies, überall war ein "Gemisch" vorhanden. Dieser Tatbestand bildete auch einen der Angriffspunkte für Kritik, die sich an diesen Untersuchungen formierte. Die Blutgruppenforschung war keineswegs unbestritten und hatte Schwierigkeiten, ihre Hypothesen empirisch zu fundieren.
Trotz der fehlenden Fundierung wurde aber weiter geforscht. Der beträchtliche Aufwand und die Energie, welche in die Forschung zu Blutgruppe und "Rasse" floss, zeigt, dass zwischen den beiden ein Zusammenhang vermutet wurde und dass die Vorstellung, dass ein Zusammenhang bestehe, sich wohl aus gesellschaftlichen Vorstellungen speiste, welche Blut und "Rasse" in eins setzten.
Die Seroanthropologie lässt sich, so meine These, als Forschung bezeichnen, deren Konzeption durch die Metapher des reinen Blutes geprägt war bzw. pointierter ausgedrückt: die durch die Metapher überhaupt erst in Erscheinung treten und Sinn erlangen konnte.
Publikation
Mischungen und Reinheit. Eine Kulturgeschichte der Blutgruppenforschung, 1900-1933.
Type de travail
Thèse
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Philippe
Sarasin
Institution
Neuzeit
Lieu
Zürich
Année
2008/2009
Abstract