Jules Ferry, Eugène Etienne, Georges Clemenceau und Jean Jaurès. Die zivilisatorische Mission Frankreichs in Algerien aus vier verschiedenen ideologischen Perspektiven

Nom de l'auteur
Bernadette
Flückiger
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2006/2007
Abstract

Die vorliegende Lizentiatsarbeit behandelt den kolonialen Diskurs in Frankreich in der Zeit von 1880 bis 1914 und im Speziellen die Ansichten vier französischer Politiker über die muslimische Bevölkerung in Algerien. Diese beiden Bereiche sind eng miteinander verknüpft; die Ideologien der Politiker können nur vor dem Hintergrund des kolonialen Diskurses in Frankreich verstanden werden. Einen wichtigen theoretischen Hintergrund stellt dabei das Konzept des Siedlerimperialismus dar, welches in der Forschung noch keine einheitliche Definition erfahren hat. Siedlerimperialismus beschreibt ein Phänomen, bei welchem die Siedler in der Kolonie die treibende Kraft bei der Unterwerfung und „Entwicklung“ der Kolonie sind, diese weitgehend selber regieren und die „Einheimischen“ auf sozialer, politischer und religiöser Ebene kontrollieren.

 

Das Ziel der Arbeit bestand darin, die Ansichten der vier Politiker Ferry (Republikaner), Etienne (Republikaner und Siedlervertreter in Algerien), Clemenceau (Radikaler) und Jaurès (Sozialist) über die Rolle der muslimischen Bevölkerung in Algerien herauszuarbeiten: Welche Politik vertraten sie gegenüber den Einheimischen in Algerien? Wie war ihr Bild der muslimischen Einwohner Algeriens? Inwiefern haben sie sich untereinander beeinflusst und wie haben sich ihre Positionen verändert? Diesen Fragen wurde mittels der Studie von Parlamentsdebatten, der Werke der Politiker selber und durch die Aufarbeitung der relevanten Sekundärliteratur nachgegangen. Für die Erklärung der Motivation der Politiker ist hier das Konstrukt der „mission civilisatrice“ von Wichtigkeit. Dieses beschreibt den Glauben an die aufklärerische Kraft der „Grande Nation“, welche ihre Werte und zivilisatorischen Errungenschaften in möglichst viele Gegenden der Welt bringen sollte, damit die einheimischen Gruppierungen auf den „richtigen Weg“ gebracht werden können.

 

Die Hauptergebnisse der Lizentiatsarbeit können folgendermassen zusammengefasst werden: Die gegenseitige Beeinflussung der Politiker war stark. Als Beispiel kann Jules Ferry dienen, der in seiner Rolle als Ministerpräsident grossen Einfluss ausübte, sei es auf den jungen Etienne oder auch auf Jaurès, der zu Beginn seiner politischen Laufbahn ebenfalls den Republikanern zuzuordnen war.

 

In Bezug auf die „mission civilisatrice“ der Politiker kann festgehalten werden, dass ein solches Konzept bei Etienne nicht vorhanden war; er versuchte viel mehr, jede Entwicklung und Besserstellung von den Einheimischen fernzuhalten, um ihnen keine Macht zukommen zu lassen. Die Vorstellungen der anderen drei Politiker gegenüber den Muslimen waren differenzierter als diejenige Etiennes, welcher in den Muslimen in einer sehr plakativen Art nur den Gegner der französischen Siedler sah. Ferry, Clemenceau und Jaurès waren alle in mehr oder weniger langen Phasen ihrer politischen Karriere zu bestimmten Zugeständnissen, seien diese politischer, religiöser oder rechtlicher Art, gegenüber den Muslimen bereit; keiner von ihnen kann aber als Antikolonialist im heutigen Sinne bezeichnet werden; die Praxis der Kolonisation wurde zwar kritisiert, nie aber die Kolonisation als solche in Frage gestellt. Das Konzept der „mission civilisatrice“ Frankreichs vertrat vor allem Jules Ferry. Er fügte Mitte der 1880er Jahre die Verpflichtung Frankreichs ins Feld, die Vorteile der Wissenschaft, der Vernunft und der Freiheit in die Kolonien zu exportieren, um seine Kolonialpolitik zu legitimieren.

 

Clemenceau war vor allem die Integration der Muslime in das politische, soziale und rechtliche System Frankreichs ein wichtiges Anliegen und somit vertrat auch er eine Art der „mission civilisatrice“. Clemenceau war aber nicht bereit, eine Ausweitung an politischen Rechten ohne Zugeständnisse von Seiten der Muslime vorzunehmen. Clemenceau hoffte nämlich, in einem möglichen zukünftigen Krieg auf die Einheimischen als „Kanonenfutter“ zurückgreifen zu können.

 

Jaurès hatte in der Zeit als republikanischer Abgeordneter eine ähnliche Auffassung einer „missioncivilisatrice“ wie Ferry. Jaurès traute den Muslimen nicht sehr viel zu, betrachtete er sie doch als Kinder, denen man nur eine sehr oberflächliche Schulbildung zukommen lassen konnte. Ab Mitte der 1890er Jahren war Jaurès’ Meinung stark durch sein sozialistisches Gedankengut geprägt, was sich auch in seiner Ansicht der „mission civilisatrice“ widerspiegelte, obwohl er nie soweit ging, für die muslimischen Algerier genau dieselben politischen Rechte wie für die europäischen Siedler zu fordern. Sein Bild einer „mission civilisatrice“ war sowohl von seinen sozialistischen Ideen als auch durch die Überzeugung, dass Frankreich eine Vorbildrolle in der Welt zu tragen habe, geprägt. Abschliesend kann gesagt werden, dass von keiner einheitlichen Auffassung über die „mission civilisatrice“ im Sinne einer erziehenden und zivilisierenden Aufgabe gesprochen werden kann, viel mehr verstand jeder Politiker etwas anderes darunter.

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