Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
PD Dr. phil
Daniel Marc
Segesser
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2020/2021
Abstract
Die Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten in Cassibile war ein wichtiger Wendepunkt für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs. Mit der Unterzeichnung des Vertrags akzeptierte General Giuseppe Castellano im Namen von Pietro Badoglio die bedingungslose Kapitulation Italiens vor den alliierten Mächten und den damit verbundenen Ausstieg aus dem Bündnis mit Hitlerdeutschland. Die italienische Illusion, sich aus dem Konflikt zurückziehen zu können und so zumindest teilweise einer drohenden und ruinösen Niederlage zu entgehen, hatte wesentlich dramatischere Konsequenzen als viele erwartet hatten. Die öffentliche Bekanntgabe des Waffenstillstands am 8. September 1943, die anschliessende Auflösung der italienischen Streitkräfte und die folgende Besetzung eines grossen Teils der Halbinsel durch nationalsozialistische Verbände verwandelten Italien für fast zwei Jahre in ein riesiges und blutiges Schlachtfeld mit schrecklichen Folgen für die Zivilbevölkerung und das Militär.
Die vorliegende, auf Italienisch verfasste, Masterarbeit legt den Fokus jedoch nicht in erster Linie auf die italienische Halbinsel, sondern analysiert vor allem die politischen, sozialen, kulturellen, geistigen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Kanton Tessin, der aufgrund seiner geografischen und kulturellen Nähe von der Flucht vieler Italienerinnen und Italiener unweigerlich und massiv betroffen war. Welche Auswirkungen hatten der Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten und der darauffolgende Flüchtlingsstrom auf das politische, soziale, wirtschaftliche, geistige und kulturelle Leben des Kantons Tessin in den Monaten unmittelbar nach seinem Inkrafttreten und bis zur Beendigung der Kampfhandlungen in Italien?
Zur Beantwortung dieser Frage analysiert die Arbeit eine Vielzahl von Literatur und Quellen mit dem Ziel, ein umfassenderes Bild zu gewinnen als es in der bisherigen Forschung besteht. Die hauptsächlich benutzten Quellen sind die wichtigsten Tessiner Zeitungen der damaligen Zeit, die auf der digitalen Plattform des Tessiner Bibliothekssystems oder im Staatsarchiv des Kantons Tessin in Bellinzona eingesehen werden können. Da diese Zeitungen mehr oder weniger offiziell mit den Parteien verbunden waren oder bestimmten Strömungen nahestanden, konnte die Arbeit die verschiedenen Positionen der damaligen politischen Akteure herausarbeiten. Zudem ermöglichten sie auch einen Einblick in das politische Klima der Zeit und in die Art und Weise, wie die Bevölkerung im Tessin über diese Konsequenzen der kriegsbedingten Ereignisse informiert wurde.
Neben Zeitungsartikeln besteht das Quellenkorpus der Arbeit aus Tagebüchern, Briefen und weiteren Zeugnissen von Zeitgenossen, darunter Politiker, Flüchtlinge und Soldaten. Ein grosser Teil davon ist in gedruckter Form leicht zugänglich und zeigt die verschiedenen Standpunkte der beteiligten Personen sowie deren Wahrnehmung der Ereignisse auf.
Der dritte und letzte Teil des Quellenkorpus besteht aus hauptsächlich im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern aufbewahrten Protokollen, Berichten und politischen Mitteilungen zum Umgang mit Flüchtlingen, zu ihrer Aufnahme und die damit zusammenhängenden Problemstellungen. Wertvoll sind hier der sogenannte Bericht Schürch und vor allem der in den 1950er Jahren im Auftrag des Bundesrates erstellte zusammenfassende Bericht des Juristen Carl Ludwig zur schweizerischen Flüchtlingspolitik. Für die Arbeit erhob der Autor auch einige nützliche statistische Daten, so zur Anzahl der Flüchtlinge, die im Berichtszeitraum im Tessin ankamen, oder zu den Kosten, die von den Behörden für ihre Aufnahme übernommen wurden. Die Arbeit verknüpft also qualitative und quantitative Methoden, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Die Masterarbeit konnte aufzeigen, dass die Verkündung des Waffenstillstands am 8. September 1943 und die darauffolgenden Phasen des starken Flüchtlingszustroms aus Italien bedeutsame Konsequenzen hatten und Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im Kanton Tessin direkt oder indirekt erheblich belasteten. Die Konsequenzen waren aber nicht immer negativ. Gerade im Bereich des Journalismus und der lokalen Literatur brachte die Aufnahme italienischer Flüchtlinge wichtige Impulse für die Gesellschaft im Tessin mit sich. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung war gross und die Behörden versuchten, durch die Anpassung der kantonalen Gesetze und Verordnungen ihren Spielraum zugunsten der Flüchtlinge zu nutzen. So war auch der Kanton Tessin von grossen nationalen und internationalen Entwicklungen der damaligen Zeit betroffen.