Als ständiger Zankapfel politischer, kultureller und auch militärischer Rivalität zwischen Frankreich und Deutschland erfuhr das zwischen den Vogesen und dem Rhein gelegene Elsass seit dem Zeitalter des Nationalismus ein besonders bewegtes Grenzlandschicksal. Vor allem die faktische Angliederung durch Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg unterwarf die im Osten Frankreichs gelegene Provinz seelischen Spannungen. Im Besonderen ragt dabei die Tragödie der Zwangsrekrutierung heraus, die noch lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine unübersehbare grosse Narbe in der elsässischen Mentalität hinterliess.
Infolge der deutschen Besatzung Frankreichs und der darauf folgenden De-facto-Annexion des Elsass im Juni 1940 gerieten die aufgrund ihrer Deutschstämmigkeit als „Volksdeutsche“ betrachteten Elsässer in den Sog völkerrechtswidriger Zwangsrekrutierung durch das Dritte Reich. Wegen ihres aufgezwungenen Fronteinsatzes im Dienst der Wehrmacht oder der Waffen-SS standen die überlebenden Zwangseingezogenen nach ihrer Rückkehr im Zwielicht. So wurden die elsässischen „incorporés de force“ im Nachkriegsfrankreich grösstenteils für nationalsozialistische Kollaborateure gehalten und als Verräter an der „mère patrie“ betrachtet, die sich freiwillig für das Tragen der feindlichen Kriegsuniform gemeldet hätten. Unter dem Rechtfertigungsdruck der französischen Gesellschaft moralisch leidend, versuchten die Überlebenden der rund 100’000 Zwangsrekrutierten aus dem Elsass den demütigenden Verratsvorwürfen entgegenzutreten und sich von jeglichen Schuldgefühlen loszusagen. Mit ihrer Selbstbenennung als „Malgré-Nous“ (frz. „gegen bzw. wider unseren Willen“) sollte ihre widerrechtliche Einberufung in die deutsche Armee ins rechte Licht gerückt werden, in der Hoffnung sich in Frankreich zu rehabilitieren. Mit der Selbstbetitelung Malgré-Nous sollte aber nicht nur buchstäblich die Widerwilligkeit des aufgezwungenen Militärdienstes für eine feindliche Macht, sondern automatisch auch die stets aufrecht erhaltene französische Gesinnung bzw. Frankophilität sowie gleichzeitig die tiefe Abscheu gegenüber dem Nationalsozialismus assoziiert werden.
Ziel der Lizentiatsarbeit ist es, anhand von zahlreichen Quellen verschiedener Art (Verordnungen der deutschen Zivilverwaltung und des Militärs, Korrespondenzen, Plakaten, russischen Flugblättern, etc.), hauptsächlich aber mittels autobiographischer Werke in Form von Kriegserinnerungen ehemaliger Malgré-Nous, folgende zwei Fragestellungen zu beantworten: Waren die elsässischen Zwangsverpflichteten tatsächlich als frankophile und antinationalsozialistische Franzosen einzustufen, die sich gegen die Einziehung in die deutsche Armee sträubten – genau diesen Anspruch erhebt der Eigenname Malgré-Nous – oder stellt die Selbstbezeichnung bloss eine Begriffsfloskel im Rahmen der Rechtfertigungspolitik gegenüber Frankreich dar? Widerspiegelt die Gruppe der zwangsrekrutierten Elsässer womöglich das allgemeine Nationalbewusstsein der elsässischen Bevölkerung der damaligen Zeit?
Dass sich trotz mehrerer intensiv geführter Webekampagnen zwischen Herbst 1940 und Juni 1942 höchstens 2’100 Elsässer als Kriegsfreiwillige gemeldet hatten, ist ein erstes Zeichen dafür, dass die Mehrheit der männlichen wehrfähigen Bevölkerung im Elsass in der Tat nicht bereit war, freiwillig die deutsche Uniform anzuziehen. Eine grosse Zahl von Wehrpflichtigen folgte dem kurz nach der Einführung der Wehrpflicht (25. August 1942) ergangenen Aufruf zum Boykott. Zahlreiche Elsässer gaben ihr französisches Nationalbewusstsein überdeutlich zu erkennen, verweigerten die Unterschrift zum Militärdienst oder erschienen gar nicht erst zu den Musterungen. Um sich der Wehrpflicht vollständig zu entziehen oder zumindest den Gang an die Front hinauszuzögern, wurden seitens der Gestellungspflichtigen jegliche erdenklichen Möglichkeiten in Erwägung gezogen. Zehntausende Elsässer im wehrpflichtigen Alter flüchteten entweder ins unbesetzte Frankreich oder in die benachbarte Schweiz, versteckten sich oder simulierten physische wie auch psychische Angeschlagenheit. Mindestens jeder vierte der wehrpflichtigen Elsässer konnte so dem Gang an die Front entkommen. Nur unter der perversen Androhung der Sippenhaft liess sich der Rest zum Militärdienst zwingen. In den deutschen Militärkasernen war den zwangseingezogenen Elsässern aber mangelnder Enthusiasmus generell anzumerken, was sich beispielsweise in zahlreichen Treueidverweigerungen widerspiegelte. Schliesslich waren es mehrere Tausend, die an der Ostfront desertierten. Die meisten davon verübten Fahnenflucht, indem sie unter grösster Lebensgefahr auf die russische Seite überliefen.
Die Einführung der Wehrpflicht verletzte die Seele des Elsass zutiefst. Die überwältigende Mehrheit der Elsässer empfand die deutsch-nationalsozialistische Besatzung als aufgezwungenes Joch, das Vorgehen der deutschen Zivilverwaltung als rücksichtslos gegenüber der bikulturellen Eigenheit der Provinz. Die zwangsrekrutierten Elsässer widerspiegeln die allgemeine Gesinnung der elsässischen Bevölkerung, die genauso als „Malgréeux“ bezeichnet werden könnte.
Elsässer in fremder Uniform. Eine Untersuchung der Zwangsrekrutierung französischgesinnter Volksdeutschen im Dritten Reich am Beispiel der „Malgré-Nous“
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Marina
Cattaruzza
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2007/2008
Abstract