Eine nationale Heimstätte in der Sowjetunion. Die Involvierung des Völkerbundes in die Umsiedlung armenischer Flüchtlinge aus Griechenland in die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik 1724-1926

Nom de l'auteur
Can
Büyükvardar
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2016/2017
Abstract
Infolge des Griechisch-Türkischen Kriegs 1919–1922 gelangten nach dem Fall Smyrnas (İzmir) 1922 rund 900’000 Flüchtlinge aus Anatolien an das griechische Festland. Unter den Geflohenen fanden sich auch 50’000 armenische Flüchtlinge, wovon sich ein grosser Teil in den in der Vergangenheit hart umkämpften Gebieten des 1920 von den Siegermächten Griechenland zugeschlagenen südlichen Teils von Mazedonien und West-Thrakiens aufhielt. Das Schicksal dieser armenischen Flüchtlinge fand in der Forschung kaum Beachtung. Die Masterarbeit beschäftigt sich, aufbauend auf Akten des Völkerbundsarchivs, mit dem vielschichtigen Prozess der versuchten Umsiedlung der armenischen Flüchtlinge von Griechenland in die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik (ArSSR) zwischen 1924 und 1926. Die Arbeit lässt sich innerhalb der neuen internationalen Geschichte situieren und verfolgt einen multipolaren Ansatz diplomatischer Geschichtsschreibung. Im Zentrum der Arbeit steht der Versuch des Völkerbunds, ein Ansiedlungsprojekt zu lancieren, das ihm von der Armenischen Nationalen Delegation 1923 vorgeschlagen wurde, sowie die Durchführung zweier Bevölkerungsaustausche zwischen Griechenland und der Sowjetunion durch den Völkerbund in den Jahren 1924 und 1925. Dabei wurden armenische Flüchtlinge aus West-Thrakien gegen Griechen aus der Sowjetunion ausgetauscht, die von Moskau zu den sogenannten „Spekulanten“ gezählt wurden. Die Austausche standen im grösseren Kontext der beabsichtigten Aussiedlung aller armenischen Flüchtlinge aus West-Thrakien. Konzeptuell orientiert sich die Arbeit an Rogers Brubakers Schema der triadischen Konfiguration. Diese besagt, dass das Verhalten eines Staats zu einer jeweiligen ethnischen Minderheit vom Verhalten des Bezugsstaats gegenüber der im Exil lebenden betroffenen Minderheit geprägt ist. Da von Seiten der Siegermächte des Ersten Weltkriegs die ArSSR nicht als Nachfolger der 1918 bis 1920 existierenden Demokratischen Republik Armenien anerkannt wurde, fiel es dem Völkerbund zu, die ArSSR als Bezugsstaat für armenische Flüchtlinge gegenüber den Siegermächten zu konzipieren. Die Mittlerfunktion des Völkerbunds äusserte sich vor allem in der Konzeptualisierung der ArSSR als armenische Nationale Heimstätte. Dieses Konzept stellte die Grundlage für die Politik des Völkerbunds gegenüber den armenischen Flüchtlingen dar. Die unklare Natur der Begrifflichkeit der Nationalen Heimstätte bezweckte, den Pariastatus der ArSSR (einer sowjetischen Teilrepublik) mit armenisch-nationalen Ansprüchen gegenüber der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit zu vereinen. Das Konzept der Nationalen Heimstätte diente allerdings auch der griechischen Regierung als Grundlage, um Vorstösse im Völkerbund zu tätigen, die im Sinne des 1923 vorgeschlagenen Ansiedlungsprojekts eine Umsiedlung der armenischen Flüchtlinge aus Griechenland in die ArSSR erwirken sollten. Zwischen dem als Vermittler agierenden Völkerbund und der griechischen Regierung entwickelte sich ein wechselseitiges aufeinander Einwirken, das von der Formulierung von Zielen durch den Völkerbund und dem Erzwingen einer Inangriffnahme bzw. der Beschleunigung dieser Ziele durch die griechische Regierung geprägt war. So begann die griechische Regierung ab dem Frühjahr 1924 damit, dem Völkerbund Deportationen armenischer Flüchtlinge anzudrohen und auch teilweise durchzuführen. Die Folge war, dass sich der Völkerbund stärker in die Ausund Ansiedlung der Flüchtlinge in der ArSSR engagierte. So begann der Völkerbund neben der aktiven Vermittlung der erwähnten Bevölkerungsaustausche ab dem Frühjahr 1925 mit der schnellstmöglichen Umsetzung des Ansiedlungsprojekts.
 Die angepeilte Schaffung einer armenischen Nationalen Heimstätte wurde nie realisiert. Sie scheiterte am Unvermögen des Völkerbunds, europäische und amerikanische Investoren davon zu überzeugen, in ein Projekt in der Sowjetunion zu investieren. Dem Völkerbund gelang es zwar bezüglich der armenischen Flüchtlinge erfolgreich zwischen Griechenland und der Sowjetunion zu vermitteln und im Rahmen der Bevölkerungsaustausche 4'000 Flüchtlinge aus West-Thrakien umzusiedeln, doch scheiterte das grössere Ansiedlungsprojekt schliesslich – neben dem von Athen stetig ausgeübten Druck auf den Völkerbund – an den westlichen Kapitalmärkten. Die Masterarbeit versucht einen kaum beachteten Aspekt ethnischer Homogenisierungsprozesse der Nationalstaaten Südosteuropas nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen der Flüchtlingspolitik des Völkerbunds aufzuzeigen. Das Erkenntnispotential, welches das Völkerbundsarchiv zu dieser Thematik noch birgt, ist allerdings kaum ausgeschöpft. Weitere Nachforschungen könnten nicht nur neue Aspekte der internationalen Flüchtlingspolitik nach dem Ersten Weltkrieg zu Tage bringen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur armenischen Geschichte nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs leisten.

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