Eindrücke aus Fernost. Jüdische Zeitungen und Autobriographien zum Shanghaier Exil 1938-1948

Nom de l'auteur
Irene
Keller
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Marina
Cattaruzza
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2007/2008
Abstract


Bis zum Ausbruch des Pazifikkrieges 1941 konnten sich aufgrund der günstigen Einreisebedingungen 17’000-18‘000 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Shanghai retten. Die meisten hiervon lebten im ärmeren chinesischen Stadtteil Hongkew, der seit 1937 japanisch besetzt war und welcher nach 1943 zu einem jüdischen Ghetto umfunktioniert wurde. Manche jüdischen Flüchtlinge waren in Shanghai journalistisch tätig, andere schrieben Jahre nach dem Kriegsende – in den USA, in Israel oder auch zurück in Europa – ihre Erinnerungen an die Exilzeit nieder.

Angesichts der Multikulturalität der ‚Immigrantenstadt’ Shanghai und des Wohnens auf engem Raum mit chinesischen und japanischen Nachbarn geht die Lizentiatsarbeit der Frage nach, wie die mitteleuropäischen jüdischen Flüchtlinge ihr neues Umfeld wahrnahmen und ob sie erkannten, dass nicht nur sie, sondern auch die chinesische Bevölkerung unter dem Kriegsgeschehen zu leiden hatte. Hierzu wurden dreizehn Autobiographien ehemaliger jüdischer Flüchtlinge als Hauptquellen benutzt. Um abschätzen zu können, ob sich die nach dem Exil verfassten Erinnerungswerke bezüglich ihrer Schilderung des asiatischen Umfeldes stark von unmittelbareren Zeitzeugnissen unterscheiden, wurden als zweite Quellengruppe vier deutschsprachige, in Shanghai publizierte jüdische Zeitungen der Kriegszeit mit untersucht. Hauptergebnisse der Arbeit sind folgende: Während sich die zwei Tageszeitungen „Acht-UhrAbendblatt“ und „The Jewish Voice of the Far East / Jüdisches Nachrichtenblatt“ eher mit den Alltagsproblemen der Flüchtlinge und dem Kriegsgeschehen in Europa beschäftigten, bemühten sich die zwei Kulturzeitungen „Gelbe Post“ und „Tribüne“ darum, den jüdischen Menschen in Shanghai die chinesisch-japanische Welt näher zu bringen. Aufgrund selbstzensorischer Massnahmen herrschte in diesen beiden Blättern jedoch ein lobender, verständnisvoller Ton vor, der die japanischen Besatzer milde stimmen und gängigen Vorurteilen der Mitteleuropäer entgegenwirken wollte. Diese Kulturartikel entsprachen jedoch weniger den Bedürfnissen der jüdischen Leserschaft, so dass die beiden Zeitungen nur kurze Zeit publizieren konnten. In allen vier Zeitungen wurden Artikel zur enormen Armut der chinesischen Bevölkerung veröffentlicht, um den jüdischen Flüchtlingen zu zeigen, dass sie nicht die einzige soziale Gruppe in Shanghai waren, die unter dem Zeitgeschehen zu leiden hatte.

In den Autobiographien festgehaltene Erinnerungen an die Not leidende chinesische Bevölkerung sowie an ihr durch japanische Soldaten verübte Gewalttaten zeigen, dass die Autorinnen und Autoren, analog den jüdischen Journalisten der Exilzeit, durchaus erkannt hatten, dass die jüdische Flüchtlingsgemeinschaft nicht als einzige Gruppe in Shanghai von Armut und japanischer Gewalt betroffen war und die eigene Lage demnach nicht gänzlich hoffnungslos war. Im nachträglich erworbenen Wissen um die Ausmasse des Holocaust in Europa spricht aus den Autobiographien zudem eine Dankbarkeit dem chinesischen Volk gegenüber, welches den Aufenthalt der jüdischen Flüchtlinge in Shanghai, ihrer damals letztmöglichen Zufluchtstätte, geduldet hat. Ein knapper Vergleich mit der Lage jüdischer Flüchtlinge im Italien der Kriegszeit hat gezeigt, dass die Überlebenschancen in Fernost höher waren als in Italien. Dennoch wird in den Autobiographien Japan gegenüber kaum ein Dankeswort ausgesprochen. Die dreizehn Autorinnen und Autoren nutzen vielmehr die Gelegenheit, Kritik am japanischen Kriegsregime zu üben, was den Journalisten der Exilzeit aufgrund drohender Zensurmassnahmen nicht möglich war. Denn Japan war Achsenpartner Nazi-Deutschlands und trägt somit in den Augen der jüdischen Überlebenden, die mit ihrem Schreiben über das Shanghaier Ghetto auch der Opfer gedenken wollen, Mitschuld am Holocaust. Die Autobiographien beurteilen die Exilzeit in Shanghai verschieden und fügen sie unterschiedlich umfangreich in ihre Lebenserinnerungen ein. Während vor allem die sozialen Verhältnisse in der fernöstlichen Hafenstadt angesprochen werden, bilden Schilderungen engerer Kontakte zur chinesischen Bevölkerung die Ausnahme. Die Erfahrungen der Verfolgung und der Flucht sowie der Verlust der bisherigen Existenzgrundlage und Identität führten vermutlich dazu, dass sich manche Flüchtlinge schlecht an das neue Umfeld gewöhnen konnten und sich in Shanghai als Fremde fühlten.

Angesichts der geringen Fallzahl lässt sich nicht genau sagen, welcher Faktor bestimmend dafür ist, wie viel Raum dem Shanghaier Exil in den Autobiographien eingeräumt wird. Das Alter spielt hier zwar eine Rolle, ebenso die politische Einstellung. Genauso einflussstark können aber auch der Erinnerungsanlass sowie Entstehungszeit und –ort der Publikation wirken

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