Du, der nicht an Mangel leidet, habe Erbarmen mit deinem Nothleidenden Nächsten, einen freudigen Geber hat Gott lieb.“ Private, freiwillige und nichtstaatliche Fürsorgeinstitutionen in Worb im 19. Jahrhundert

Nom de l'auteur
Matthias
Baumer
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Heinrich Richard
Schmidt
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2003/2004
Abstract

Die Arbeit geht davon aus, dass alle Erscheinungen der Armut und alle Lösungsansätze von den gesellschaftlichen Verhältnissen der jeweiligen Zeit bedingt sind. Auf dieser These beruht die allgemeine Zielsetzung der Arbeit, und daraus ergeben sich die konkreten Leitfragen, die einer Antwort bedürfen:

Wie treten die grundsätzlichen armenpolitischen Entwicklungen im Kanton Bern des 19. Jahrhunderts in einer einzelnen Einwohnergemeinde auf? Verhält sich die private, freiwillige und nichtstaatliche Fürsorge gleich, oder bewegt sie sich anders zu den Veränderungen in der Armenfrage, welche vom Staat ausgehen?

Wie übertragen sich der gesellschaftliche Wandel und die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen auf den Untersuchungsgegenstand der privaten, freiwilligen und nichtstaatlichen Fürsorgeinstitutionen? Wie wirken sich liberalistisches Gedankengut, philanthropische Ideen und das sich entwickelnde Vereinswesen auf den sozialen Sektor aus? Wie gehen die Institutionen des Untersuchungsgegenstandes mit der Armenproblematik ihrer Zeit um? Was vermochte die private, freiwillige und nichtstaatliche Fürsorge im Vergleich zur staatlichen zu leisten?

Diese Leitfragen werden am Fall Worb geprüft. Die Einwohnergemeinde Worb hat hier nicht eine Sonderstellung inne, vielmehr kann sie exemplarisch als Modellgemeinde angesehen werden. Isoliert betrachtet, hat die Studie grundsätzlich eine lokalhistorische Bedeutung, eingebettet in übergeordnete Zusammenhänge lassen sich jedoch Bezüge zur Grundproblematik der Armenfürsorge im 19. Jahrhundert aufzeigen.

Der Gegenstand der Untersuchung ist eingebettet in allgemeine historische und gesellschaftliche Prozesse im 19. Jahrhundert, nicht nur in Worb oder im Kanton Bern, sondern in ganz Westeuropa. So sorgen zuerst allgemeine begriffsgeschichtliche Betrachtungen zur Armut und zur Fürsorge für ein inhaltliches Fundament, Ausführungen zur Armenpolitik im Kanton für den rechtshistorischen Rahmen, in welchem sich der Untersuchungsgegenstand bewegte, und der Beschrieb der staatlichen Armenfürsorge im Worb des 19. Jahrhunderts zeigt das lokale Umfeld, in welchem sich die Fürsorgeinstitutionen, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, befanden.

Die Arbeit konnte zeigen, dass über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet die private, freiwillige und nichtstaatliche Fürsorge eine andere Entwicklung durchmachte, als dies die öffentliche tat. Die Menschen, welche die Institutionen des Untersuchungsgegenstandes prägten, übertrugen zwar oftmals die selben gesellschaftlichen Vorstellungen ihrer Zeit in die privaten Fürsorgeorganisationen wie dies der Staat auch bei der öffentlichen Armenpflege tat. Die nichtstaatlichen Institutionen setzten aber individuelle Prioritäten. So waren Bildung und Erziehung Kernpunkte der Anstalt Enggistein, die Verbesserung der Lebensmittelsituation war es bei den Verpflegungsanstalten im ersten Drittel des Jahrhunderts und unter einem anderen Ansatz auch beim Brotverein.

Die nichtstaatliche Fürsorge im Untersuchungszeitraum war lange Zeit mit der staatlichen nahezu identisch. Erst um die Mitte des Jahrhunderts begannen sich andere Strukturen mit anderen Fürsorgeleistungen herauszubilden. Diese unterstützten und ergänzten die staatliche Armenpflege, manchmal direkt, in anderen Fällen wirkten sie präventiv. Während die staatliche Fürsorge während des gesamten Untersuchungszeitraumes weitgehend Armutssymptome bekämpfte, drang die private, freiwillige und nichtstaatliche Fürsorge gezielter zu möglichen Ursachen der Verarmung vor. Als Beispiele sind der Allgemeine Krankenverein zu nennen, welcher sich Patienten annahm, bevor sie der Gemeinde wegen zu hoher Arzt- und Pflegekosten zur Last fielen, oder auch die Krankenkasse, welche dank den finanziellen Leistungen im Krankheitsfalle Haushaltungen vor dem finanziellen Ruin bewahren konnte. Von der Last, welche auf den Schultern der staatlichen Armenpflege in Worb lag, hätten die Fürsorgeinstitutionen diese nie zu befreien vermocht. Immerhin nahm der Grad der Entlastung der Gemeinde mit der Entwicklung der sozialen Institutionen in Worb wohl zu. Ein quantitativer Beweis dazu kann nicht erstellt werden, da die sehr unterschiedlichen Leistungen und vor allem die präventiven Massnahmen nicht einheitlich gemessen und gewertet werden können. An dieser Stelle kann höchstens die Vermutung geäussert werden, dass die Armenzahlen der staatlichen Fürsorge in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch deshalb sanken, weil das soziale Netz und die Grundversorgung der Bevölkerung in der Einwohnergemeinde Worb sich allgemein verbessert hatten. Die privaten, freiwilligen und nichtstaatlichen Institutionen kämpften grundsätzlich mit einer Hauptschwierigkeit, unter welcher auch die staatliche Armenpflege litt: Während des ganzen Jahrhunderts war in Worb die Mehrheit der geleisteten Fürsorgemassnahmen nicht kostendeckend. Dort, wo keine Verluste resultierten, waren dafür die Leistungen eingeschränkt. Die Ausnahme, welche die Regel bestätigt, war der Allgemeine Krankenverein. Dieser vermochte in der Fürsorge viel zu leisten, ohne dass der Verein mit finanziellen Nöten zu kämpfen hatte.
 

Die private und freiwillige Fürsorge in Worb war gerade dort am stärksten und wirkungsvollsten, wo sie mit der staatlichen Fürsorge respektive mit der Gemeinde zusammenarbeitete. Das beste Beispiel ist auch hier wieder der Allgemeine Krankenverein. So wuchs ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Worb langsam ein soziales Netz, in welchem ein unterschiedliches Angebot an Leistungen für die Menschen der Einwohnergemeinde parat lag. Interessanterweise überlagerten sich grundsätzlich keine der untersuchten Institutionen. Somit kannten sie in Worb auch keine Konkurrenz, vielleicht auch, weil die Gemeinde für mehrere gleiche Fürsorgeinstitutionen zu klein war. Die Bevölkerung der Einwohnergemeinde begann sich vor allem ab 1860 verstärkt zu emanzipieren, griff vermehrt zur Selbsthilfe, musste sich aber in zahlreichen Härtefällen immer noch auf die staatliche Armenfürsorge stützen. Die Entwicklung des Vereinswesens ging mit dem Ausbau des sozialen Netzes in Worb gewissermassen Hand in Hand und wirkte sich wohl auch fördernd aus im Gegensatz zu den liberalen Ideen, welche sich im Bereich der Armenfürsorge nicht durchsetzen konnten. Die Eigenverantwortung der Menschen gegenüber der Armut und die selbstregulierende Kraft der Wirtschaft, an deren Wachstum alle teilhaben würden, funktionierte so radikal in der Fürsorge nicht. Zwar entstanden Institutionen, in welchen die Menschen Eigenverantwortung übernehmen konnten, die bereits Armen waren davon aber weitgehend ausgeschlossen. Die Armenpflege blieb über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet eine Frage, auf welche trotz erheblicher Fortschritte, die die nichtstaatlichen Fürsorgeinstitutionen brachten, keine endgültige Antwort gefunden werden konnte, weder in der Einwohnergemeinde Worb noch in einer anderen Gemeinde des Amtes Konolfingen oder im Kanton Bern.

 

Die Arbeit wird in der Reihe „Berner Forschungen zur Regionalgeschichte“ vom Verlag Traugott Bautz publiziert (www.bautz.de).

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