1453, die Eroberung Konstantinopels durch die Türken, stellt eine der grossen Zäsuren der Frühen Neuzeit dar. Dies lässt sich u.a. daran zeigen, dass die sog. „Turcica“ einen Grossteil der zeitgleich aufkommenden Druckschriften ausmachten. Die gedruckte Verschriftlichung katholischer und protestantischer Predigttätigkeit leistete einen grossen Beitrag zu frühneuzeitlichen Meinungsbildungsprozessen und förderte einen Diskurs der Wahrnehmung des Fremden und dem davon abzugrenzenden Eigenen. Homilie wurde in dieser Form zusehends zu einem Machtinstrument, welches von Obrigkeiten genehmigt und gar gefördert wurde und unter Predigern als Postillen kursierte. Es war Ziel der Arbeit, Bausteine von Fremdund Selbstwahrnehmung im Zuge der Osmanischen Expansion zu isolieren und systematisieren um ein Bild von Heteround Autostereotypen in der konfessionellen Predigtliteratur des 16. Jahrhunderts gewinnen zu können.
Nach einem längeren Abschnitt der Vorüberlegungen bezüglich Informationsbeschaffung, lutherischer bzw. katholischer Rhetorik im 16. Jahrhundert sowie einer Einschätzung über den Pfarrer als „zoon politikon“ der frühneuzeitlichen Gesellschaft, weist die Arbeit eine Diskursanalyse aus, welche elementare Begrifflichkeiten von profanen, theologischen und historiographischen Stereotypen unterscheidet. Der Prediger sah seine Aufgabe darin, dem Türkenvorstoss einen Sinnhorizont zu verschaffen und verwies auf die inhaltliche Matrix von Beschreibung, Herleitung und wie in christlichen Dimensionen damit umzugehen sei.
Weitere Intentionen der Arbeit waren stereotype Fremdwahrnehmungsmuster quantitativ und qualitativ auszuwerten, um einen Überblick über das vermittelte Türkenbild zu erhalten und dieses — sofern möglich — in einen konfessionellen Kontext zu setzen.
Überwiegend bedienten die Prediger negative Stereotypen. Der Türke wurde zum einen mit „profanen“ Sprachbildern wie Bluthund oder „greüliche wueterich“ beschrieben sowie mit Heterostereotypen wie Tyrann, Erbfeind und Eidbrecher belegt. Aus vermeintlichen Kriegsberichten (Newen Zeytungen) entnommen, bezeichnete man die Gefahr aus dem Osten als Inbild grausamer Sklaverei, welche Gefangene unter Konversionszwang stellte oder Kinderraub und Vergewaltigungen vorantrieb.
Ein zweiter Abschnitt nahm sich den genuin „theologischen Vorwürfen“ gegenüber den Muslimen an und stellte heraus, dass Gotteslästerung, Trinitätskritik, das Fehlen einer muslimischen Offenbarung, die Zwangsmissionierung und der Vorwurf einer Werkreligion im Zentrum der Abgrenzungsbemühungen standen. Ein eminentes Element der Predigt beinhaltete das Liefern einer Erklärung, wieso der Türke von derartigem Erfolg (Belagerungen von Wien 1529) gekrönt wurde. Die hermeneutische Verarbeitung der Türkengefahr fiel sehr differenziert aus. V.a. die protestantischen Prediger sahen sich aufgefordert immer wieder neue Wege der Bibelauslegung gegen den teuflisch-antagonistischen Widersacher zu suchen. Das theologische Fazit besticht trotz konfessioneller Interpretationsverschiebungen durch übereinstimmende semantische Felder. Vom Zorn Gottes ausgehend wird der Türke als dessen Zuchtrute über die sich versündigende Menschheit beschrieben.
In katholischen Predigten war die unmittelbare Gefahr des Türken stärker spürbar als bei der konfessionellen Gegenseite, was zum einen auf die im Adel verbreitente „Türkenhoffnung“ und zum anderen auf den mit Nachdruck aufgegriffenen Topos des türkischen Eidbrechers und Betrügers zurückzuführen ist. Eminent war der katholische Verzicht, den Türken als widernatürlichen Polygamisten und seine Religion als eine aus Willkür entstandene Vereinigung aus Judentum und häretischem Christentum darzustellen. Obwohl inhaltlich kongruent, fiel der katholische Diskurs wesentlich schmaler aus. Ebenso vermisst man typisch protestantische Stereotypen wie den Vorwurf inhaltsleerer Ritualisierung und den Werkreligionsvorwurf, welche von den Protestanten oft im Zusammenhang mit konfessionellen Abgrenzungen und Anschuldigungen angeführt wurden. Hier überrascht, dass die katholischen Autoren kaum Versuche unternahmen protestantische Generalisierungen zu entschärfen, welche in der perhorreszierenden Analogie von Katholizismus und türkischer Religion einen Anknüpfungspunkt ihres eschatologischen Geschichtsbildes sahen. Generell ist zu sagen, dass in der Fremdwahrnehmung des Türken viel Ambivalenz heraus zu lesen ist. Zum einen werden dem Türken kulturimmanente Verfehlungen wie Trunksucht, Materialismus sowie Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit sporadisch als positive Eigenschaften zugeschrieben, um eine Projektionsfläche eigenen Unvermögens aufzubauen. Andererseits wirkt sich das Beschreiben übersteigerter Neigungen und Verfehlungen des Fremden stabilisierend und beschwichtigend auf ethische Unsicherheiten in der eigenen Gesellschaft aus und förderte eine christliche Binnenkohärenz gegenüber dem unüberbrückbaren Muslimischen.
Abschliessend bleibt die Erkenntnis, dass das 16. Jahrhundert aufgrund seiner homogenen Einstellung dem offen feindlich gesinnten Türken gegenüber keinen semantischen Paradigmenwechsel erkennen lässt. Weder Invektiven noch die Deskription osmanischer Sitten bzw. deren Reflexion auf die christianitas passen sich einer allfälligen Neusituierung der Gesellschaft an oder zeichnen sich durch neue Erkenntnisse semantisch innovativ aus.
Die Türkenpredigt des 16. Jahrhunderts in konfessioneller Ausprägung. Zu Reziprozität und projektiver Beschaffenheit von Fremd- und Selbstwahrnehmung in der Auseinandersetzung mit dem Türken
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2009/2010
Abstract