Die Schlange im eigenen Busen nähren“. Die Korrektion der Aare zwischen Thun und Bern im 19. Jahrhundert.

Nom de l'auteur
Andreas
Hügli
Type de travail
Mémoire de licence
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2001/2002
Abstract

Die umwelthistorische Fallstudie zeichnet exemplarisch am Beispiel der Aarekorrektion zwischen Thun und Bern (1824–1859 und 1871–1892) die politischen Prozesse nach, welche die Kompetenzen des Hochwasserschutzes von der lokalen auf die regionale, später auf die nationale Ebene verschoben haben. Gefragt wird insbesondere nach den Motiven der Korrektion, nach Alternativen zur Flussbegradigung und nach zeitgenössischen Opponenten gegen das Korrektionsprojekt sowie den Folgen der Aarekorrektion.

 

Eine differenzierte Nutzung der Aare führte bereits seit der Frühen Neuzeit (1500–1800) zu weitreichenden Interessenkon ikten. Der Fischfang, der Schutz des Grundbesitzes vor Überschwemmungen und vor allem die Ausnützung der Wasserkraft stellten der Schifffahrt Hindernisse in den Weg. Der Staat versuchte zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln. Der Lauf der Aare zwischen Thun und Bern war alles andere als ein Flussbett mit wohldefinierten Ufern. Kiesbänke, Schwellen zum Betrieb von Mühlen, Ölen und anderen Wasserwerken sowie Schutzwällen zum Verhindern von Wassereinbrüchen in das Kulturland charakterisierten dieses Teilstück. Als Siedlungs äche wurde die Talebene gemieden. Kulturen, Vieh, seltener Häuser waren gefährdet, die wirtschaftlich bedeutende Schifffahrt auf der Aare forderte mehrere Todesopfer. Selbst wenn die Wasser in Schranken gehalten werden konnten, kostete der zermürbende Kampf mit den Fluten doch einen hohen Preis an Arbeit und das Holz für den Schwellenbau lichtete die umgebenden Wälder. Während des 18. Jahrhunderts hatte sich die Situation für die Uferanstösser zwischen Thun und Bern verschlimmert, die Aare trat häufiger über die Ufer. Ein Kausalzusammenhang der vermehrten Hochwasser mit der Kanderkorrektion (1711–1714) ist für die Stadt Thun auf Grund der Hochwasserdaten nachgewiesen, für die Uferschutzbauten im Aaretal zwischen der ehemaligen Kandermündung und der Stadt Bern wirkte sich die periodische Öffnung der Thuner Schleusen seit 1730 negativ aus.

 

Kantonal initiiert, lokal kritisiert und zum Schluss eidgenössisch subventioniert, steht die Aarekorrektion für die unendliche Geschichte eines Jahrhundertwerks, geprägt von Fehleinschätzungen und fehlgeschlagenem kantonalen „Umweltmanagement“. Das Hauptmotiv, die Sicherung der für die Wirtschaft der Stadt Bern wichtigen Aareschifffahrt, wurde bereits ab 1859 bei der Beendigung der unteren Korrektionsstrecke zwischen Münsingen und Bern obsolet, weil im selben Jahr die Centralbahn zwischen Thun und Bern ihren Betrieb aufnahm. Wegen den exorbitanten Kosten des Werks wurde der obere Korrektionsabschnitt vorerst gar nicht begonnen. Erst eine Gefährdung der Eisenbahnlinie bei Uttigen 1871 bewirkte den Beginn der bereits 1825 beabsichtigten Korrektion zwischen Thun und Uttigen. Wiederum motiviert durch die Sicherung von Verkehrswegen wurde dieser Teil der Korrektion bis 1892 durchgeführt.

 

War der Hochwasserschutz bis 1877 kantonal sehr unterschiedlich geregelt, setzte mit dem Bundesgesetz über die Wasserbaupolizei in der Schweiz ein Gewässerkorrektions-Boom ein. Mit den hohen Bundessubventionen waren nun auch finanzschwache Kantone befähigt, Korrektionswerke auszuführen.

 

Weil die Überschwemmungen im Tie and von Zeitgenossen nach heutiger Erkenntnis etwas voreilig mit dem Raubbau in den Gebirgswäldern in Zusammenhang gebracht wurden, engagierte sich der Bund parallel zur Symptombekämpfung an den Gewässern mit dem Forstpolizeigesetz von 1876 auch an der vermeintlichen Wurzel des Übels, nämlich in der Aufforstung der Hochgebirgswälder. Die forstwirtschaftlichen Massnahmen hatten jedoch auf den Hochwasserschutz höchstens lokale Auswirkungen; überregional haben sich die Ab ussmengen deswegen kaum verändert. Aus ökologischer Sicht kann der Schutz der Wald äche heute nur begrüsst werden; die Flussverbauungen zeigen in dieser Hinsicht ein konträres Bild mit mehrheitlich negativen Folgen für die Umwelt.

 

Heute herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Bach- und Flusskorrektionen entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich grosse Gebiete der Schweiz überhaupt wirtschaftlich entwickeln konnten. Dem teuer erkauften volkswirtschaftlichen Nutzen der Aarekorrektion durch Erleichterung der Schifffahrt, später durch die Sicherung der Eisenbahnlinie und die Trockenlegung früher versumpften Landes, steht aus heutiger Sicht (der von Zeitgenossen nicht wahrgenommene) ökologische Schaden gegenüber. Durch die Korrektion wurden die weiten Auenlandschaften von ihren natürlichen Überschwemmungsgebieten abgeschnitten. Laufverkürzung, Begradigung und Sohlenvertiefung beschleunigten den Ab uss, was die Hochwasser in Richtung Unterlauf mit höheren Hochwasserspitzen verlagerte.

 

Karten des Aarelaufs zwischen Thun und Bern von 1825 und 1916 zeigen eine durch die Korrektion erreichte Laufverkürzung von knapp 10 Prozent der ursprünglichen Flussstrecke von 30,85 Kilometer. Als Alternative zu den Begradigungen wurden von den Planern der Aarekorrektion auch dem ehemaligen Flusslauf folgende Direktionslinien der Aare ins Auge gefasst, doch wurden diese aus Kostengründen bald verworfen. Heute sind die Folgen der im 19. Jahrhundert durchgeführten Korrektion wegen der im 20. Jahrhundert einsetzenden Bautätigkeit in der Talebene irreversibel. Die heute geäusserten berechtigten Forderungen nach Revitalisierungen von Auengebieten sind deshalb als Umkehr zu früheren Landschaftszuständen nur noch begrenzt möglich. Die Folgen der im 19. Jahrhundert gemachten Korrektionsarbeiten zeigten nicht nur aus landschaftsästhetischem Blickwinkel bald ihre Wirkungen. Diese wurden bereits von Zeitgenossen kontrovers diskutiert. Die Wahrnehmungen und Beurteilungen über Erfolg oder Misserfolg der Korrektion divergierten zwischen Kanton und Uferanstössern nach den ersten Baujahren stark. Diese Opposition formierte sich während der Korrektionsarbeiten, als der erhoffte Erfolg ausgeblieben war. Die für Gemeinden und Private durch die Korrektion entstandenen Belastungen waren enorm. Davon zeugen verschiedene Angebote von Uferanstössern, die Flussauen dem Staat abzutreten, weil sie die 1825 eingeführte Schwellenp icht nicht mehr zu leisten im Stande waren.

 

Seitens der für die Aarekorrektion verantwortlichen kantonalen Behörde wurde stets der Landgewinn als positive Folge hervorgehoben. Eine intensivere Nutzung der Aaretalebene durch die Landwirtschaft wurde aber erst mit den gross angelegten Meliorationsarbeiten zwischen den beiden Weltkriegen möglich, deren Erfolg bei ausbleibenden Überschwemmungen den gewonnenen Boden fatalerweise auch als Siedlungsraum attraktiv machte.

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