Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2021/2022
Abstract
Das eidgenössische Regierungssystem des Ancien Régime war aufgrund seines politischen Polyzentrismus durch große Komplexität gekennzeichnet. Da es nur sehr schwache staatliche Strukturen gab, waren Einzelpersonen, Familien und Netzwerke von großer Bedeutung. In den italienischen Vogteien erlangte eine kleine Gruppe lokaler Familien das Monopol auf politische Ämter, begünstigt durch die Politik der Zwölf Orte, die durch die Zusammenarbeit mit den lokalen Machteliten der Region Kontinuität und Stabilität anstrebten. Mit der Konsolidierung der eidgenössischen Herrschaft über die italienischen Landvogteien begannen viele mächtige Familien aus der Zentralschweiz, Vermögen und Kapital dorthin zu verlegen, ein immer dichteres Netz von Beziehungen und Geschäften zu knüpfen und Teil der lokalen Führungsschicht zu werden.
Die Studien A cavallo delle Alpi: Ascese, declini e collaborazioni dei ceti dirigenti tra Ticino e Svizzera centrale (1400 – 1600) von Leonardo Broillet und Famiglie e potere: il ceto dirigente di Lugano e Mendrisio tra Seicento e Settecento von Marco Schnyder zeigen, dass die lokalen Beamten (vor allem die Landschreiber), wenn sie enge Beziehungen zur lokalen Gesellschaft unterhielten und aufgrund ihrer öffentlichen Rolle, eine Macht erlangten, die jene des Landvogts weit übertraf, der wenig integriert war und nach einigen Jahren die Vogtei wieder verliess.
An dieser Stelle setzt die Masterarbeit an. Sie befasst sich mit der Urner Familie Beroldingen, von der sich ein Zweig dauerhaft in den Landvogteien von Lugano und Mendrisio niederliess, wo sie fast zwei Jahrhunderte lang das Amt des Landschreibers innehatte. Im Mittelpunkt steht der Land- und Gerichtsschreiber sowie Dolmetscher Johann Sebastian Pellegrin Beroldingen (1700–1780), dem es gelang, seine Ämter trotz zahlreicher Angriffe zu verteidigen. Ziel dieser Studie war es zu verstehen, wie Beroldigen seine Position behaupten konnte. Durch die Analyse von Archivquellen sowohl aus dem Tessin (Bellinzona, Lugano, Mendrisio, Balerna) als auch aus der Deutschschweiz (Zürich, Luzern, Bern, Basel, Schwyz, Nidwalden, Obwalden und Uri) konnten die Konflikte der Jahre 1722 – 1724, 1741 – 1745 und 1757 – 1758 sowie die Grundlagen von Beroldingens Macht (Familie und Titel, Ausbildung, Heiratsbündnisse, wirtschaftliche Macht, Kunden- und Kreditnetzwerke) im Detail rekonstruiert werden. Ergänzend zum lückenhaften Familienarchiv wurden auch die Überlieferung lokaler Institutionen und die Fonds anderer Familien berücksichtigt.
Die Arbeit zeigt, dass Johann Sebastian Pellegrin Beroldingen auf beiden Seiten der Alpen wichtige Verbündete hatte, nicht nur wegen seines persönlichen Ansehens, sondern vor allem wegen seiner Zugehörigkeit zur Familie Beroldingen und den Heiratsverbindungen der Familie. Seine Präsenz vor Ort und seine Nähe zur lokalen Bevölkerung gründeten auch auf dem Besitz von Grundstücken und Häusern in der ganzen Region von Mendrisio, die er dank seiner Einkünfte aus dem Weinhandel und aus politischen Ämtern erwarb und die ihm auch den Aufbau von Kreditbeziehungen erlaubten.
All dies hätte jedoch nicht ausgereicht, wenn er nicht Landschreiber gewesen wäre. Als Landschreiber kannte er alle Rechtsangelegenheiten und wusste um alle Spannungen, Rivalitäten, Bündnisse und Missgunst, die innerhalb der Vogtei herrschten und konnte dementsprechend die richtigen Leute einsetzen oder sie, wenn nötig, gegeneinander aufhetzen. Seine Stelle als Landschreiber hat ihm viel Neid eingebracht, gleichzeitig hat sie es ihm ermöglicht, sich gegen alle Anschuldigungen durch Beweise zu wehren und seine Position als Dolmetscher und Gerichtsschreiber zu behalten. Landschreiber zu sein, scheint also die größte Stärke von Johann Sebastian Pellegrin Beroldingen gewesen zu sein.