Die „Güggelgumperei der Amazonen“. Frauen im schweizerischen Reit- und Turniersport im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

Nom de l'auteur
Noemi
Steuerwald
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2021/2022
Abstract


Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Disziplinen wie Radfahren, Turnen oder Fussball auch für Frauen der Startschuss ertönte, stellte Reiten für Grossbürgerinnen keine ‹neue› Sportart dar. Was sich für die „Amazonen“ nun aber veränderte, waren einerseits ihr Zugang und andererseits die Normen, welchen sie hoch zu Ross unterstanden. Bis zu diesem Zeitpunkt frönten sie dem Reitsport stets unter männlicher Begleitung, eingeschnürt in Korsetts und langen Reitkleidern, und konnten einzig im zwar sittsamen, aber gefährlichen Damensattel reiten. Von der Medizin wurden sie dazu angehalten, den Sport nur mit Mässigung zu betreiben, damit sie keinen Schaden an Leib, Leben und Gebärmutter davontrugen. Konkret bedeutete dies, dass das Springen von Hindernissen, schnelle Galoppaden auf freier Flur oder gar die Teilnahme an Wettkämpfen für Reiterinnen ausgeschlossen waren.

In den 1920er und 1930er Jahren stellten immer mehr „Amazonen“ diese Normen in Frage und verabschiedeten sich von den bisherigen Konventionen des „Damenreitsports“, etwa indem sie sprichwörtlich umsattelten – nämlich vom Damen- auf den Herrensattel. Auch nahmen sie in immer grösser werdender Zahl an Springkonkurrenzen teil, was per se unvereinbar mit der Mässigungsmaxime war und die herrschenden Geschlechternormen in Frage stellte. Die Amazonen ritten nämlich nicht nur in Konkurrenz zu ihresgleichen, sondern errangen auch in geschlechtergemischten Prüfungen fulminante Siege über Offiziere und sogenannte „Herrenreiter“. Damit widerlegten sie den Mythos vom „schwachen Geschlecht“ konkret, unmissverständlich und messbar.

Der Reitsport bietet gerade wegen dieser unkonventionellen Geschlechtermischung grosses Potential für eine sport- sowie geschlechterhistorische Untersuchung. In dieser Disziplin ist die Physis des Pferdes für die Leistung des Paares entscheidender als die der Reiterin. Die in anderen Sportarten als eindeutig wahrgenommene Korrelation zwischen Geschlecht und Leistungsfähigkeit kann hier nicht aufrechterhalten und ein separater Wettkampfbetrieb de facto nicht legitimiert werden. Die differenten Reitnormen, die Reitexpert:innen für Frauen und Männer formulierten, ein geschlechtersegregierter Sportbetrieb sowie die Forderungen von Mediziner:innen für den Frauensport sind somit als eindeutiger Niederschlag der gesellschaftlichen Geschlechterordnung im Sportbetrieb zu werten. Vice versa stellten aber auch ausge-zeichnete reiterliche Leistungen der Frauen sowie ihre Siege in geschlechtergemischten Springkonkurrenzen Geschlechterstereotypen in Frage, forderten die medizinisch und gesellschaftlich anerkannte Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz heraus und kontestierten so das herrschende Geschlechterverhältnis.

Diese Veränderungen gilt es vor dem Hintergrund damaliger gesellschaftlicher Transformati-onsprozesse zu betrachten. Der Aufschwung des Amazonenreitsports erfolgte in einer Zeit, in welcher die erstarkende Frauenrechtsbewegung die herrschende Geschlechterordnung in Frage stellte und immer mehr Frauen in bis anhin männlich angestammte Bereiche wie Politik, Kultur und eben auch Sport vordrangen. Diese parallelen Entwicklungen verdeutlichen die Interferenz von Sport und Gesellschaft. Die beiden Sphären stehen in einem Verhältnis der reziproken Bezugnahme: Sport ist nichts Naturgegebenes, sondern eine soziale Institution und als solche ist er sowohl Ausdruck als auch Ergebnis der Gesellschaftsstruktur. Er kann folglich nie isoliert von der ihn umgebenden Gesellschaft betrachtet werden, weil er die ihr inhärenten Konflikte, Umbrüche, Machtverhältnisse und Normen in konkreter und messbarer Form wiedergibt.

Die Thematik wurde von der bisherigen Forschung in den Bereichen Sportgeschichte, animal human history oder Geschlechtergeschichte nur marginalisiert behandelt und bildet somit eine Forschungslücke, die mittels eines vielfältigen Quellenkorpus zumindest ansatzweise geschlossen werden soll. Die Masterarbeit fokussiert hierbei auf die Fragen, welche Normen und Konventionen in dieser Disziplin für Frauen geltend gemacht wurden, was als „konformes“ Reiten galt und was eine Grenzüberschreitung der Geschlechterstereotypen darstellte. Nebst dem wird auch gezeigt, wie Frauen sich konkret die männlich geprägten Räume des Reitsportes aneigneten, welche Strategien sie hierzu anwendeten und wie sie sich zu den Normen verhielten. Letztlich soll auch gefragt werden, auf welche Gegenwehr sie stiessen, von wem und vor welchem Hintergrund diese formuliert wurde.

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