«Der Sinn des Studiums der jüdischen Geschichte». Eine lebensweltliche Annäherung an die Zionistin und Historikerin Augusta Weldler-Steinberg (1879 – 1932)

Nom de l'auteur
Alice
Bloch
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Julia
Richers
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2020/2021
Abstract
Augusta Weldler-Steinberg ist eine der einflussreichsten Personen der schweizerisch-jüdischen Geschichtsschreibung. Bis auf einige biografische Eckpunkte ist der Werdegang der Autorin der zweibändigen Publikation Geschichte der Juden in der Schweiz. Vom 16. Jahrhundert bis nach der Emanzipation – gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) «bis heute das Standardwerk für die polit. Geschichte der Juden in der Schweiz» – allerdings nahezu unbekannt. Das grundlegende Erkenntnisinteresse der Masterarbeit liegt darin, die Lebenswelt der Akteurin zu untersuchen, in der dem Nexus zwischen Geschichte und Zionismus grosse Bedeutung zukommt. Anhand der lebensweltlichen Analyse wird im dreigliedrigen Hauptteil aufgezeigt, in welchem spezifischen Kontext die Geschichte der Juden in der Schweiz entstanden ist. Das Quellenkorpus setzt sich mehrheitlich aus Nachrufen, behördlichen Unterlagen, zeitgenössischen Publikationen und Presseerzeugnissen zusammen. Ein eigentlicher Nachlass ist nicht überliefert. In der Untersuchung kann aufgezeigt werden, wie Weldler-Steinbergs Leben, ihre Einordnung der Vergangenheit, ihr Weltverständnis, ihr zionistisches Sendungsbewusstsein und ihre Methode der Geschichtsschreibung eng miteinander verwoben sich entwickelten. Zudem wird deutlich, dass die Historikerin sich missverstanden gefühlt hätte, wäre ihr der Inhalt des zu ihrer Person verfassten HLS-Artikels bekannt gewesen. So war es zu keiner Zeit ihre Absicht, eine «polit. Geschichte der Juden in der Schweiz» zu verfassen, sondern vielmehr durch das Schreiben einer Art «KulturoderAlltagsgeschichte » ihren jüdischen LeserInnen den Weg zu einem zionistischen Selbstverständnis zu ebnen und im besten Fall MitstreiterInnen für den «Palästinaaufbau» zu gewinnen. Obwohl das Ziel dieser Arbeit zu keinem Zeitpunkt war, Weldlers-Steinbergs Werdegang lückenlos abzubilden, konnten vielschichtige Aspekte und Faktoren, die ihre Lebenswelt bedingten, zum Vorschein gebracht werden. Bei der Entwicklung von Weldler-Steinbergs zionistischem Sendungsbewusstsein spielte das Erfahren und Erkennen von Antisemitismus eine nicht wegzudenkende Rolle. Als jüdische Frau erfuhr sie zum einen selbst unmittelbar Diskriminierungen. Zum anderen sind als Zäsuren etwa das sogenannte Schächtverbot oder die Dreyfus-Affäre zu nennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit das Verständnis ihrer selbst sowie ihre Einordnung der Gegenwart beeinflusst haben. Eine wichtige Etappe in ihrer prozesshaften Hinwendung zum Zionismus stellte ihre akademische Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte dar. Es gelang aufzuzeigen, dass gerade durch die Deutung, die jüdische Geschichte würde sich in ihrem Schrecken in allen Ländern und Epochen wiederholen, Weldler-Steinbergs zionistischer Impetus erwachte und bestärkt wurde. Sie gelangte zur Überzeugung, dass sich die Hoffnung, die mit der Emanzipation der jüdischen Bevölkerung einhergegangen war, nicht erfüllen würde, und eine Integration der jüdischen Bevölkerung in die christliche «Mehrheitsbevölkerung» nicht möglich sei. Der Geschichtsforschung, -vermittlung und -schreibung mass die Akteurin eine besondere lebenspraktische Relevanz zu. Die Historikerin zielte mit ihrem diesbezüglichen Engagement darauf ab, dass die Angehörigen der schweizerisch- jüdischen Gemeinschaft ihre Zugehörigkeit zum «jüdischen Volk» begriffen und sich dadurch zwangsläufig zum Zionismus bekannten. Dieser perzipierte «Sinn des Studiums der jüdischen Geschichte» stand jedoch in keinem erkennbaren Zusammenhang damit, dass das Projekt Geschichte der Juden in der Schweiz in den 1920er und 1930er Jahren in mehrerlei Hinsicht zum Debakel wurde. Vielmehr äusserten sich in den Spannungen soziale Hierarchien innerhalb der schweizerisch- jüdischen Gemeinschaft sowie Ärger und Überforderung als Reaktionen auf eine ausserhalb der ihr zugedachten Rolle agierenden Frau. Mit ihrer zunehmenden Beteiligung in der zionistischen Bewegung erweiterte sich im Laufe der 1920er Jahre ihr Fokus. Neben der intellektuellen Bildungsarbeit wirkte Weldler-Steinberg ab Ende des Ersten Weltkriegs zunehmend an der Gründung von Vereinen mit und engagierte sich als aktives Mitglied in zionistischen Organisationen. Besondere Beachtung verdient, dass die von ihr geleitete Arbeitsgemeinschaft Zionistischer und Misrachistischer Frauen als erste Frauenorganisation in den Schweizerischen Zionistenverband aufgenommen wurde. Die Masterarbeit konnte aufzeigen, wie Geschichte sowohl bei der Ausbildung Weldler-Steinbergs zionistischem Sendungsbewusstseins als auch im Zusammenhang ihres zionistischen Aktivismus eine immanente Funktion zukam. Während vermeintlich mit wenigen Ausnahmen nicht eindeutig zwischen Geldarbeit und Aktivismus unterschieden werden kann, muss nach genauerer Betrachtung angenommen werden, dass grundsätzlich all ihre Handlungen als zionistisch motiviert zu lesen sind. Die Analyse zeigt schliesslich, dass sich Weldler-Steinberg im Erwachsenenalter kompromisslos als Zionistin verstand.

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