Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Dr. habil.
Carmen
Scheide
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2020/2021
Abstract
Insgesamt fanden zwischen Oktober 1941 und März 1943 vier sogenannte Schweizer «Ärztemissionen » an die deutsch-sowjetische Kriegsfront statt, an denen über 200 Ärzte*, Krankenschwestern*, chirurgische Wärter* (Krankenpfleger*), Sekretärinnen* und Motorfahrer* (Chauffeure*) teilnahmen. Das Einsatzgebiet erstreckte sich über die Grenzen des heutigen Russlands, Polens, Lettlands und der Ukraine und die Missionen führten die Teilnehmenden in verschiedene Feld- und Kriegslazarette der deutschen Wehrmacht. Die Entscheidung zur Entsendung solcher «Ärztemissionen » wurde unter anderem durch das politische Klima zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich geprägt. In progermanischen Kreisen erfuhr der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion breite Unterstützung. Ausserdem befand sich die Schweiz zumindest seit Sommer 1940 in einer schwierigen Lage, da sie mit der Besetzung Frankreichs von den Achsenmächten eingeschlossen war. Initiiert wurden die Missionen von einem freiwilligen Komitee, dass sich «Komitee für Hilfsaktionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuzes» nannte. Die ursprüngliche Idee entstammte den deutschfreundlichen Kreisen um Eugen Bircher, Hans Frölicher, Ferdinand Sauerbruch und Ernst Ruppaner.
Im Zusammenhang mit den Schweizer «Ärztemissionen» an die Ostfront werden zunächst vor allem die politischen Implikationen augenfällig. Der neutralitätspolitische Charakter der Missionen und die politischen Folgen wurden von den wenigen Forschenden, die sich ausführlicher mit ihnen beschäftigten, bereits behandelt. Fragestellungen dieser Art standen deshalb in der Masterarbeit im Hintergrund. «Geschlecht» wurde in der Arbeit als Analysekategorie betrachtet und somit untersucht, welche Bedeutung diese Kategorie für die «Ärztemissionen» hatte. Ein Forschungsdesiderat besteht insbesondere in der Untersuchung der Rolle, die die Kategorie «Geschlecht» in den Feld- und Kriegslazaretten im Zweiten Weltkrieg einnahm. Die Arbeit führte einen «geschlechtergeschichtlichen Interpretationsansatz» ein, der die politischen Ansätze ergänzte. So wird nach der Bedeutung von Geschlechtervorstellungen, aber auch nach der zeitgenössischen Geschlechterordnung bei den vier Missionen gefragt.
Die Quellen zu den vier Schweizer «Ärztemissionen» befinden sich zu einem grossen Teil im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern. Nachlässe einzelner Teilnehmender wurden im Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich gesammelt. Das Schweizerische Rote Kreuz selber verfügt nur noch über einen kleinen Quellenbestand, da das Meiste in den 1970er Jahren dem Bundesarchiv übergeben wurde.
Bei den Missionen handelte es sich um eine Art Mikrokosmos, da sich die Teilnehmenden durch ihre direkten Kriegserfahrungen an der deutsch-sowjetischen Front vom übrigen Schweizer Sanitätspersonal unterschieden. Die Annahme, dass sich durch diese Erfahrungen und während der Einsätze Geschlechtervorstellungen und Rollenbilder auflösen liessen, konnte nicht bestätigt werden. Gegen diese Annahme sprach allein schon die eindeutige Rollenverteilung; weibliches Personal nahm auschliesslich die Funktion von Krankenschwestern* und /oder Sekretärinnen* ein, männliches Personal diejenige von Ärzten*, Chauffeuren* und nur zu einem kleinen Teil von Krankenpflegern*. Gleichzeitig wurde in den Lazaretten die Wahrung des militärischen Ranges gepflegt, der sowohl Krankenschwestern* als auch männliche Pfleger* auf die unterste Hierarchieebene verwies. Beim männlichen Pflegepersonal löste diese «Degradierung» auf die Ebene des weiblichen Personals zum Teil heftige Reaktionen aus. Die Rolle der Frauen* innerhalb der Lazarette blieb sowieso bis zuletzt umstritten. Heftig wurde darüber diskutiert, dass Frauen* aufgrund ihres Geschlechts unter keinen Umständen in den nahe der Front gelegenen Feldlazaretten eingesetzt werden sollten. Nach der Rückkehr der Teilnehmenden in die Schweiz gerieten die Missionen praktisch in Vergessenheit bzw. wurden aufgrund ihrer politischen Implikationen verdrängt. Für die Teilnehmenden bedeutete dies die Rückkehr in den normalen Alltag und die Missionen hatten nur innerhalb ihres Mikrokosmos kurzfristige Auswirkungen auf die vorherrschende Geschlechterordnung.
Die Masterarbeit vermochte aufzuzeigen, welche Bedeutung der Kategorie «Geschlecht» bei Untersuchungen rund um den militärischen Sanitätsdienst im Krieg zukommen muss. Im Speziellen reproduzierte sich diese Bedeutung auch bei den «Ärztemissionen» an der Ostfront.