Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Julia
Richers
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2019/2020
Abstract
Als 1969 die US-amerikanische Apollo 11-Mission auf dem Mond landete, befanden sich neben den Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin auch drei wissenschaftliche Experimente an Bord der Mondlandefähre. Eines davon stammte aus Bern. Es handelte sich um das sogenannte Sonnenwind- Experiment oder Solar Wind Composition Experiment des Physikalischen Instituts der Universität Bern (PIUB). Während das PIUB 1960 noch nie bei einem Raketenabschuss dabei gewesen war, beteiligte es sich nur neun Jahre später als einziges ausländisches Institut an der prestigeträchtigsten Unternehmung der NASA und war in vielfältigen Kooperationen mit der European Space Research Organisation (ESRO) und weiteren Forschungszentren involviert. Auch finanziell gelang dem PIUB ein beachtliches Wachstum. So nahmen im Zeitraum zwischen 1964 und 1969 die dem Institut zur Verfügung stehenden Gelder um das Vierfache zu.
Die Masterarbeit analysiert den Aufstieg des PIUB in den 1960er und 1970er Jahren zu einem weltweit anerkannten Zentrum für Weltraumforschung. Neben dem internationalen Kontext der Raumfahrteuphorie war für diesen Aufstieg vor allem die Institutionalisierung der schweizerischen Wissenschaftspolitik von Bedeutung. Dabei ging es darum, Forschung mit Bundesmitteln finanzieren zu können und im Gegenzug dem Staat eine Rolle in der Planung der Wissenschaft zu sichern. Die Weltraumforschung überstieg die regulären Mittel einzelner Universitäten und Hauptträger des finanziellen Ausbaus des PIUB war der noch junge Schweizerische Nationalfonds (SNF). Diese nominell unabhängige Organisation geriet unter politischen Druck, die Weltraumforschung mit erheblichen Mitteln zu unterstützen, da verschiedene Stellen im politischen System eine schweizerische Beteiligung an der Raumfahrt als äusserst erstrebenswert erachteten. So wurde die schweizerische Mitgliedschaft in der ESRO vom Eidgenössischen Politischen Departement primär aufgrund aussenpolitischer Erwägungen angestrebt.
Als Quellen dienten der Masterarbeit hauptsächlich die jährlichen Anträge des PIUB an den SNF sowie die dazugehörigen Gutachten des SNF. Hauptantragssteller war stets Johannes Geiss, Direktor des PIUB von 1966 bis 1989 und Mitglied verschiedenster Raumfahrtkommissionen inner- und ausserhalb der Schweiz. Dank mehrerer Forschungsaufenthalte in den USA – unter anderem bei der NASA – verfügte Geiss auch in Übersee über eine Vielzahl wichtiger Kontakte. Seine Korrespondenz ergänzt die Quellen aus dem SNF-Archiv und zeigt, wie er sein breites Netzwerk unterhielt und für den Erfolg der Berner Forschungsvorhaben nutzte. Anhand der SNF-Quellen wird untersucht, wie die Physiker_innen ihre Grundlagenforschung dem SNF gegenüber präsentierten und wie die Selbstdarstellung des PIUB vom SNF-Forschungsrat aufgenommen wurde. Diese Aushandlungsprozesse werden von 1964 bis 1974 verfolgt. Es wird gezeigt, dass Geiss und seine Mitarbeitenden sowohl nationale als auch internationale Kontexte in argumentative Strategien über- setzten. Die Argumentationsmuster des PIUB sind über das untersuchte Jahrzehnt erstaunlich gleichbleibend: stetige Investitionen in die Messapparate, um gegenüber der internationalen Konkurrenz weiterhin bestehen zu können; die Legitimierung der beträchlichen ESRO-Beiträge der Schweiz; das Prestige, das insbesondere die NASA genoss; und die Pfadabhängigkeit durch mehrjährige Fortführungsanträge, die nicht einfach gestoppt werden könnten.
Hier werden anhand einer Forschungsgruppe aber nicht nur deren Gesuche und Argumentationsmuster untersucht, sondern auch, wie diese im Forschungsrat des SNF aufgenommen und diskutiert wurden. Dabei stellt sich die Weltraumforschung als besonders spannend heraus, da sie einerseits als Grossforschung äusserst kostenintensiv war, und es sich bei ihr andererseits um ein neues Feld handelte, das noch nicht etabliert und legitimiert war. Die Weltraumforschung löste deshalb Debatten zwischen SNF, Kantonen und Bund über Kostenaufteilung und Entscheidungshoheiten aus. Die Masterarbeit kann aufzeigen, dass im SNF an und wegen den Gesuchen des PIUB vornehmlich wissenschaftspolitische Themen ausgehandelt wurden, die sehr wenig mit den eigentlichen Forschungsinhalten zu tun hatten. Dem PIUB wiederum gelang es, mithilfe der SNF-Mittel den Platz zu besetzen, der von den Politikern für die Weltraumforschung geschaffen worden war. «Wissenschaft» und «Politik» zeigen sich also nicht als klar voneinander getrennte Bereiche. Vielmehr müssen sie in Anlehnung an die Science and Technology Studies als miteinander verflochten verstanden werden.