Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christian
Büschges
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2019/2020
Abstract
Die vorliegende Masterarbeit analysiert, wann und in welchem Umfang sich das 1958 in der BRD gegründete Bischöfliche Hilfswerk Misereor jenen Entwicklungs- bzw. Befreiungsdiskursen verschrieb, welche im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Medellín tiefgreifende Umwälzungen in der katholischen Weltkirche anstiessen. Gerade in gewissen lateinamerikanischen Kirchenkreisen mündeten diese Impulse, zusammengefasst unter dem Begriff der Befreiungstheologien, in einer Hinwendung zur Lebenswirklichkeit von armen, marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Auf Basis von Informationsmaterialien des Hilfswerkes, gerichtet an westdeutsche, vorwiegend katholische SpenderInnen, wird in einem ersten Teil für den Zeitraum von 1968 – 1989 untersucht, welches Entwicklungsverständnis dem Arbeitsbereich der Öffentlichkeitsarbeit zugrunde lag. Die Aufnahme von Kernprinzipien der Befreiungstheologien in die Entwicklungspraxis wird weiter am Beispiel der Projektförderungsarbeit im bolivianischen Hochland (1961 – 1978) dargestellt, wo neben archivarischen Quellen auch Interviews mit Vertretern damaliger Projektträgerorganisationen einfliessen.
Diese zusammenführende Analyseperspektive soll beleuchten, wie Misereor sich innerhalb der vielfältigen Aushandlungsprozesse von entwicklungspolitischen und religiösen Spannungsfeldern zwischen Europa und Lateinamerika positionierte bzw. positionieren konnte. Obwohl die Forderungen, Ursprünge und Wirkungsmacht der Befreiungstheologien von HistorikerInnen und TheologInnen bereits intensiv erforscht wurden, blieben deren konkrete Implikationen in peripheren Regionen wie dem bolivianischen Hochland bisher relativ unbeachtet. Zudem existieren kaum systematische Untersuchungen darüber, wie diese das Entwicklungsverständnis von westlichen, katholischen Hilfsorganisationen, von welchen Misereor ein äusserst einflussreicher Akteur war, zwischen den 1960er und 1980er Jahren beeinflussten.
Die Arbeit geht von der Annahme aus, dass Misereor in den beiden analysierten Wirkungsbereichen auf verschiedene Zwänge reagieren musste, was zu einem fragmentierten Umgang mit den Befreiungstheologien führte. In der Öffentlichkeitsarbeit stand dabei die Frage im Zentrum, welche Aussagen dem Bewusstseinsstand der SpenderInnenbasis und der westdeutschen Kirchenhierarchie entsprachen. In der pragmatischeren Projektförderungsarbeit hing der Umgang mit der Strömung hingegen hauptsächlich von der Präsenz und Orientierung lokaler Akteursgruppen ab, welche mit ihren Entwicklungsmassnahmen untereinander zudem oft inkompatible Ziele verfolgten. Das Quellenmaterial weist darauf hin, dass sich Misereor zunehmend einem Verständnis verschrieb, das mit der Ablösung des neutraleren Entwicklungskonzepts durch die politisch aufgeladeneren Prämissen der Befreiungstheologien einherging.