Die Internationale Arbeitsorganisation und der Strahlenschutz. Aushandlungsprozess zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Regierungen in den 1950er Jahren

Nom de l'auteur
Nicolas
Kehrli
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2017/2018
Abstract
Die Zunahme der Anwendung von ionisierenden Strahlen in Medizin, Industrie und Forschung, aber vor allem in der Atomenergie für militärische und zivile Zwecke führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer erhöhten Bedrohung. Diese betraf nicht mehr „nur“ die strahlenexponierten Berufsleute, sondern die ganze Menschheit und deren zukünftige Generationen. In der Masterarbeit wurde anhand der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), bei welcher mit der tripartiten Struktur die verschiedenen Sichtweisen von Regierungs(RG), Arbeitgeber(AG) und Arbeitnehmerdelegierten (AN) einiessen, der Aushandlungsprozess einer Strahlenschutzgesetzgebung für die Arbeitnehmer analysiert. Verwendet wurden die ungedruckten Besprechungsprotokolle der zuständigen Arbeitsgruppe anlässlich der 43. und 44. Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) von 1959 und 1960. Das Quellenmaterial stammt vorwiegend aus dem IAO-Archiv in Genf. Dies führt zwangsläufig zu einer einengenden Perspektive der Akteure, da die dahinterliegenden Strahlenschutzkontexte der Mitgliedsstaaten unbeachtet bleiben. In einem ersten Schritt wird in der Masterarbeit der Zusammenhang zwischen der öffentlichen Wahrnehmung der Strahlen als Bedrohung und der Traktandierung des Strahlenschutzes in der politischen Agenda herausgearbeitet. Weiter wird aufgezeigt, wie Staaten auf der Grundlage der Wissenschaftlichkeit sowie die Internationale Strahlenschutzorganisation (ICRP) zunehmend als biopolitische Akteure auftraten. Im empirischen Teil werden innerhalb der IAK kontrovers besprochene Inhalte beleuchtet. Dabei werden die von den Delegierten angeführten Argumente und deren Gewichtung sowie eine allfällige Bezugnahme auf die Wissenschaft für die Erreichung von sozialpolitischen Zielen untersucht. Aufgrund dieser Analyse wird in der Masterarbeit die These aufgestellt, dass die erfolgte Ausgestaltung des Übereinkommens sich weniger auf die „risk“ der ionisierenden Strahlen beziehungsweise auf den Schutz der Arbeitnehmer bezog, sondern vielmehr auf den durch die ionisierenden Strahlen ermöglichten „bene t“. Mit biopolitischem Kalkül mittels der IAO-Gesetzgebung und der damit einhergehenden Gewährleistung eines „ausreichenden“ Schutzes wurde versucht, den „public clamour“ aufzufangen und damit die „Bedrohung“ der zivilen – und militärischen – Nutzbarmachung der ionisierenden Strahlen abzuwenden. In der Masterarbeit wird aufgezeigt, dass bereits in der Vorbereitungsphase die IAO-Sachverständigen der Forderung von Taylor Lauriston, Mitbegründer der ICRP, entsprachen, nämlich dass der Strahlenschutz die Prosperität des Staates nicht einschränken dürfe. Auch die RG und AG verfolgten an der 43. und 44. IAK keinen ausführlichen und konkreten Strahlenschutz. In diesem Sinne votierte rund die Hälfte der Delegierten lediglich für eine Empfehlung. Dass schliesslich doch noch ein Übereinkommen ausgearbeitet werden konnte, welches den gesetzgebenden Institutionen der Mitgliedsstaaten vorgelegt werden musste, wurde dem Zugeständnis geschuldet, eine flexible und nur auf allgemeine Prinzipien basierende Urkunde zu verabschieden. Die Gegner eines ausführlichen Schutzes versuchten mit unverbindlichen oder allgemein gehaltenen Formulierungen sowie mit Forderungen zur Löschung von Inhalten oder zu deren Transfer in die das Übereinkommen komplementierende Empfehlung, den Gesetzestext abzuschwächen. Die „risk-bene t“-Abwägung ergab eine Risikofeststellung, bei welcher die Prosperität des Staates nicht gefährdet werden durfte, das Risiko der relativ kleinen Zahl der strahlenexponierten Arbeitnehmer folglich als vernachlässigbar betrachtet wurde. Argumentiert wurde dabei vor allem mit technischen, politischen und wissenschaftlichen Argumenten, weniger mit ökonomischen. Es erstaunt nicht, dass angesichts der Bedrohung der allgemeinen Bevölkerung durch die ionisierenden Strahlen wiederholt die Kritik geäussert wurde, dass das Übereinkommen seinen Wert verliere beziehungsweise zu einer Empfehlung verkomme. Eine weitere in der Masterarbeit aufgestellte These ist die Politisierung der Wissenschaft und insbesondere der ICRP. Die getroffenen Entscheide in der Vorbereitungsphase und anlässlich der IAK zeugen von einer oftmals unterschwelligen, vereinzelt auch offensichtlichen Durchdringung des politischen Bereiches durch die ICRP. Die ICRP lieferte dabei nicht nur die naturwissenschaftlichen Daten, sondern übernahm zugleich eine Risikofeststellung. Der Glaube an die Wissenschaftlichkeit der ICRP prägte die Besprechungen der Sachverständigen und auch der Delegierten an den Sitzungen der IAK. In Bezug auf die ionisierenden Strahlen handelte es sich um eine wissenschaftliche Machtkonzentration, welche durch den Umstand begünstigt wurde, dass die ICRP bereits eine massgebende Position innehatte, bevor die Staaten auf dem Gebiet des Strahlenschutzes überhaupt aktiv wurden.

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