Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Philipp
Sarasin
Institution
Neuzeit
Lieu
Zürich
Année
2016/2017
Abstract
Vor genau vierzig Jahren, im August 1976, wurde der 66-jährige Brigadier Jean-Louis Jeanmaire unweit des Lausanner Bahnhofes verhaftet. Der damals bereits im Ruhestand lebende ehemalige Chef der Abteilung für Luftschutztruppen der Schweizer Armee wurde beschuldigt, Angehörigen der Botschaft der UdSSR in Bern militärische Informationen und Unterlagen geliefert zu haben. Als diese ungewöhnliche Meldung kurz darauf an die Medien gelangte, löste sie ein landesweites Erbeben in der Schweizer Presselandschaft aus und führte zu einer intensiven, sich stetig erhitzenden öffentlichen Debatte, in welcher der pensionierte Brigadier bereits lange vor einem juristischen Urteil als einer der grössten Landesverräter der Schweiz wahrgenommen wurde. Ein Jahr später, am 17. Juni 1977, wurde Jeanmaire schliesslich, in einem von der Öffentlichkeit mit Spannung verfolgten Prozess, wegen Spionage und Landesverrates zu einer Haftstrafe von 18 Jahren verurteilt. Das Gericht erhöhte in diesem Strafmass den seitens der Anklage geforderten Strafantrag von 12 Jahren in deutlicher Weise und blieb nur knapp unter der maximal möglichen Höchststrafe von 20 Jahren.
Heute jedoch ist man sich weitgehend darin einig, dass die dazumal in der Öffentlichkeit gegen Jeanmaire erhobenen Vorwürfe nicht dem tatsächlichen Tatbestand entsprachen und damit die bald als “Fall Jeanmaire“ bekannte Spionageaffäre als weit gravierender dargestellt wurde, wie sie es tatsächlich war. Anhand einer sehr zeit- und quellennahen Analyse der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Politik und Medien und deren Bedeutung und Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, wie es damals möglich war, dass Jean-Louis Jeanmaire noch während dem laufenden Ermittlungsverfahren in der öffentlichen Wahrnehmung der Schweiz zum “Jahrhundertverräter“ werden konnte. Darüber hinaus wird, ausgehend von drei sich bezüglich dieser öffentlichen Wahrnehmung als zentral erwiesenen Aspekten, der Einfluss des historischen Kontextes bewertet werden. Konkret handelt es sich dabei um die Bedeutung der damaligen Sicherheitspolitik der Schweiz, um die Einschätzung der allgemeinen Bedrohungslage und um die Wahrnehmung des Landesverrates als solchem. Wie in dieser Arbeit gezeigt wird, waren insbesondere die beiden letztgenannten Aspekte als Grundlage der öffentlichen Meinungsbildung zum Fall Jeanmarie von zentraler Bedeutung.