«Zabíjení po česku» - «Töten auf Tschechisch». Die «wilde Vertreibung» von 1945 aus heutiger Sicht

Nom de l'auteur
Alexandra
Schwab
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Julia
Richers
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2014/2015
Abstract


Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden in den demokratisch reorganisierten ehemaligen Ostblockstaaten Fragen aus der nationalen Vergangenheit thematisiert, die bis dahin jahrzehntelang totgeschwiegen worden waren. Eines dieser tabuisierten Themen ist die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Tschechoslowakei fanden direkt nach dem Ende des Prager Aufstandes im Frühsommer 1945 die sogenannten „wilden Vertreibungen“ der Sudetendeutschen aus den Grenzgebieten statt. Als die „wilden Vrtreibungen“ werden jene bezeichnet, die noch vor den Beneš-Dekreten und ohne rechtliche Grundlage geschahen. Diese Vertreibungen und die im August 1945 im Potsdamer Abkommen beschlossene Abschiebung (Tschechisch: „odsun“) der Sudetendeutschen zogen sich bis in die Jahre 1946/47 hin. In der darauffolgenden Zeit des Einlebens in einer neuen und fremden Umgebung schwiegen die meisten der vertriebenen Sudetendeutschen über die Geschehnisse und das Erlebte.

In der Tschechoslowakei wurde die Vertreibung der Deutschen nach dem Weltkrieg bis 1989 von Seiten der offiziellen Regierung und von der breiten Bevölkerung weitgehend nicht thematisiert. Als Grundkonsens galt in dieser Zeit (teilweise auch heute noch), dass die Abschiebung der Sudetendeutschen eine logische Schlussfolgerung und gerechte Strafe nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sei. Im Jahr 2010 nahm sich der tschechische Dokumentarfilmer David Vondráček dieser Thematik an und drehte einen Dokumentarfilm zur Vertreibung der Sudetendeutschen. Sein Film „Zabíjení po česku“ (Deutsch: Töten auf Tschechisch) wurde zur besten Sendezeit am 6. Mai 2010 im tschechischen Fernsehen gezeigt. Nicht nur die Konfrontation mit der T$terrolle, basierend auf Zeitzeugenberichten ehemals Vertriebener, sondern auch die Tatsache, dass der Film im Rahmen des 65. Jahrestages des Prager Aufstandes gegen die nationalsozialistische Okkupation gezeigt wurde, rief bei den Tschechen Empörung und scharfe Kritik hervor.

In diesem Zusammenhang steht im Zentrum der Masterarbeit die Untersuchung der Zeitzeugenaussagen im Dokumentarfilm „Zabíjení po česku“ und die Frage, wie mit der Erinnerung nach jahrelangem Totschweigen umgegangen wird. Als Quellengrundlage dienten hierbei sowohl die Aussagen der Zeitzeugen aus dem Film, als auch ihre schriftlichen Berichte und Interviews. Weiter wurde das Narrativ und die Aussagen der Rezensionen zum Film in Form von Medienberichten und Zeitungskommentaren aus dem Jahre 2010 untersucht.

Vondráček bot mit seinem Film den Zeitzeugen und Historikern eine Plattform, um über das Thema und die Zeit der „wilden Vertreibungen“ sprechen zu können und hielt sich selbst dabei grösstenteils mit Kommentaren zurück. Das Narrativ, das der Film verfolgt, basiert nicht auf einem festgefahrenen Opfer-Täter-Diskurs, sondern versucht die verschiedenen Erlebnisse der Zeitzeugen aufzuzeigen. Ihre Erzählungen zeigen klare Merkmale der „Vergangenheitsbewältigung“ und der „Vergangenheitsbewahrung“ entsprechend der Definition von Aleida Assmann auf. Vondráčeks eigene Beiträge im Film beschränken sich auf Erläuterungen und die Einleitung von Übergängen. Ansonsten lässt er den Erinnerungen der Zeitzeugen und den Forschungsanalysen der Historiker den Vortritt. Trotzdem gibt er als Interviewer dem Film und den Narrativen eine gewisse Stossrichtung. Entgegen Heiko Haumanns Vorschlag eines offenen „Oral History“-Verfahrens beginnt Vondráček die Interviews mit einer gezielten Einstiegsfrage – wobei auf Fragen oftmals nur anhand der Antworten rückgeschlossen werden kann. Vondráček stellt des Öfteren detaillierte Folgefragen und lenkt das Gespräch so in eine spezifische Richtung. Die Zeitzeugen geben demzufolge ihre Erinnerung nicht frei und assoziativ wieder, sondern antworten auf gezielt gestellte Fragen. Ein Journalist und Filmemacher fragt folglich andere Fragen, als dies ein Historiker oder Historikerin tun würde. Ähnlich wie ein literarischer Text weist der Film also eine Dramaturgie auf, die letztendlich konstruiert ist. Die biographischen Erfahrungsberichte in „Zabíjení po česku“ haben die Unmittelbarkeit eines offenen Gesprächs verloren und sind vielmehr literarischen Konstrukten ähnlich, an welchen hinlänglich gefeilt wurde − eine schwierige Ausgangslage für die geschichtswissenschaftliche Analyse. Die Masterarbeit versucht, sich dieser Herausforderung der doppelten Konstruiertheit zu stellen. Mithilfe filmanalytischer Untersuchungsmethoden und quellenkritischer Analyse der Oral-History-Interviews lotet sie die Möglichkeiten eines öffentlichen enttabuisierten Vertreibungsdiskurses in Tschechien aus.

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