Die Antike im Werk „La démocratie et la Suisse“ von Gonzague de Reynold

Nom de l'auteur
Severin
Thomi
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Stefan
Rebenich
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2012/2013
Abstract
Die Arbeit bewegt sich im Forschungsfeld der Rezeptionsgeschichte der Antike und untersucht die Konstruktion eines nationalgeschichtlichen „Schweizer Altertums“ im Werk La démocratie et la Suisse, das von dem Freiburger Intellektuellen Gonzague de Reynold im Jahr 1929 veröffentlicht wurde. Diese Publikation Reynolds ist der Forschung bekannt als Versuch, ein liberales Bild der Schweizer Geschichte zu widerlegen und damit den demokratisch verfassten Bundesstaat historisch zu delegitimieren. Die Antike nimmt in Reynolds Essai d‘une philosophie de notre histoire nationale – so der Untertitel des Buches – sehr breiten Raum ein. Die vorliegende Masterarbeit geht erstens der Frage nach, welche Funktion den AntikeKapiteln innerhalb dieser „Geschichtsphilosophie“ zukommt, zweitens wird untersucht, wie sich Reynolds Altertum in zeitgenössische historisch-politische Identitätsdebatten einfügt. Zu diesem Zweck wird Reynolds Narrativ einer nationalen Antike detailliert dargestellt, analysiert und interpretiert. Im Fokus stehen hierbei Argumentationslinien, erkenntnisleitende Begriffe und Konzepte, sowie Vorstellungen von historischer Normativität, von Kontinuität und Diskontinuität. Es wird herausgearbeitet, welche Ereignisse, Prozesse und Gegebenheiten in dieses spezifische Antikebild integriert werden, wie der Autor sie gewichtet und mit welchen Sinnzuschreibungen er operiert. Weiter werden spezifische Rezeptionsmuster, die in dem Werk zum Tragen kommen, sichtbar gemacht und verortet, sowie Hinweise auf Einflüsse und Grundlagen von Reynolds Bild der Antike gegeben. Es werden in der Arbeit zusätzlich Reaktionen auf Reynolds Antikenbild hinzugezogen, um Aspekte der Bedeutung herzuleiten, die dieser Schweizer Antike in den Debatten der Zeit zugeschrieben wurde. Reynold entwickelt in seinem Werk einen historisch-essentialistischen Begriff der schweizerischen Nation, dem er antagonistisch die institutionelle Schweiz des Bundesstaates gegenüberstellt. In einem zirkulären Vorgehen projiziert er normative politische und staatsphilosophische Vorstellungen in die Vergangenheit und schliesst auf diese Weise mittels eines explizit eingeführten Arguments scheinbar aus der Schweizer Geschichte auf den verfehlten Charakter des liberalen Bundesstaates. Wie die Arbeit aufzeigt, spielt hierbei Reynolds Antikenarrativ eine fundamentale argumentative Rolle. Nach einer kurzen Behandlung der geographischen und topographischen Gegebenheiten sowie der vorkeltischen Epoche diskutiert Reynold die Helvetier, die römische Schweiz und die burgundisch-alemannische Zeit, wobei er auch periphere Gebiete in sein Narrativ zu integrieren sucht. In dieser Behandlung der frühen Epochen installiert Reynold nationale „Konstanten“, Grundbedingungen der schweizerischen Nation, die das Folgende präjudizieren. Bis zum Aufkommen des Liberalismus und der Gründung des Bundesstaates verläuft die Entwicklung der Schweiz in diesem Bild gemäss den Leitlinien, die das Wesen der Nation ausmachen. Die Bildung der schweizerischen Nation wird hierbei eingebettet in eine universalgeschichtliche Erzählung der Genese des christlichen Europa aus dem Römischen Kaiserreich. Die aristokratische Prägung der Schweiz wird ebenso aus der Antike hergeleitet wie der Föderalismus, der Militarismus und die patriarchalisch strukturierte Familie. Vor allem aber zeigt Reynolds Schweizer Altertum die Entstehung der Nation als eine lateinischgermanische Synthese im Geist des Christentums. Durch die Verankerung der nationalen „Konstanten“ in den antiken Epochen relativiert Reynold das liberale Anfangsnarrativ, das auf die Ereignisse in der Innerschweiz um 1300 fokussiert, und bestreitet zugleich den egalitären, demokratischen Charakter dieser Entwicklung. Die Entstehung der Eidgenossenschaft ist nach dieser Auffassung kein eigentlicher Beginn, sondern eine – zwar bedeutende – Episode in einem historischen Prozess, dessen Grundbedingungen bereits in der Antike festgelegt worden waren. In der Analyse der Signifikanz des Reynoldschen Antikenarrativs zeigen sich weiter drei wichtige Tendenzen: Durch Reynolds starke Gewichtung der Antike und die konkrete Ausgestaltung dieser Epoche wird die Geschichte der Schweiz katholisiert, latinisiert und europäisiert, was die Arbeit anhand von publizierten Reaktionen auf Reynolds Narrativ der nationalen Antike aufzeigt. Der Rekurs auf Reynolds Antike kann hierbei nicht nur eine Abgrenzung gegenüber dem Liberalismus, sondern ebenso gegenüber völkisch-rassistischen Konzeptionen bedeuten. Wie in der Arbeit dargelegt wird, fungiert „Antike“ hier einerseits als politisches Argument und andererseits als Orientierungsund Positionierungspunkt in der krisenhaften und dynamischen Zeit zwischen den Weltkriegen.

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