Lateinamerika im Spiegel europäischer enzyklopädischer Lexika. Die Entwicklung von Bevölkerungsstereotypen im 18. und 19. Jahrhundert

Nom de l'auteur
Barbara
Willi
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Arndt
Brendecke
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2010/2011
Abstract
Das Ziel der Masterarbeit besteht darin, auf der Grundlage von enzyklopädischen Lexika des 18. und 19. Jahrhunderts zu ermitteln, wie europäische stereotype Vorstellungen von lateinamerikanischen Nationen ausgesehen haben. Europäische Nationalstereotypen basieren auf „nach nationalen und ethnischen Merkmalen bestimmten kollektiven Charaktertypen“ (Stanzel 1999), welche auf antiken Vorlagen beruhen und folglich bedeutend älter sind als die europäischen Staaten. Für lateinamerikanische Länder bestehen aus europäischer Sicht keine entsprechenden Vorlagen, weshalb davon auszugehen ist, dass sich in Europa stereotype Vorstellungen über die Bewohner Lateinamerikas und seiner Nationen ab Ende des 15. Jahrhunderts erst entwickeln. Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Lateinamerikas spielt eine bedeutende Rolle für die sich entwickelnde Gesellschaftsstruktur der Neuen Welt: Da für die einzelnen Ethnien in Europa Vorstellungsmuster beoder entstehen, ebenso für die Heimatländer der europäischen Einwanderer, wird untersucht, ob und allenfalls in welcher Weise sich diese Vorstellungen in Europa zu gesamtbildlichen Nationalstereotypen verdichten. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 1740 bis 1914. Nach einer Bestandesaufnahme vor Beginn der europäischen Aufklärung kann so eine Entwicklung sowohl vor dem Hintergrund der Staatenbildung in Europa als auch der Staatenund Gesellschaftsbildung in Lateinamerika verfolgt werden. Als Quellen dienen enzyklopädische Lexika, auf welchen die Stereotypenforschung grossteils basiert. Für die vorliegende Arbeit wurde das Untersuchungsfeld mit einer Ausnahme auf deutsche Lexika beschränkt. Der Aufbau der Arbeit erfolgt über fünf Kapitel: Einleitend werden die zentralen Begriffe geklärt und das Quellenkorpus abgegrenzt. Da für die Beurteilung des Quellenmaterials der geistige Hintergrund der europäischen Gesellschaft oft wichtiger ist als die Kenntnis der lateinamerikanischen Geschichte, werden die Lexika jeweils für das 18. und 19. Jahrhundert gruppiert verortet. Für das 18. Jahrhundert spielen Konzepte wie der Edle Wilde, die Idee des Exotismus und die Religion als Beobachtungsfilter eine Rolle vor dem Hintergrund der massiven kulturellen und gesellschaftlichen Umwälzungen der Aufklärung, bei denen der Mensch Gott als Zentrum der Sinngebung ersetzt. Im 19. Jahrhundert ist für die Interpretation der Beschreibungen in den Lexika einerseits das sich in Lateinamerika entwickelnde System der Castas zentral, andererseits die Popularität der Theorien der Physiognomik in Europa, was sich nicht nur in den schriftlichen Darstellungen zeigt, sondern auch in den im späten 19. Jahrhundert auftretenden Bildtafeln in den Lexika. Diese erlauben wiederum Rückgriffe auf die Steirische Völkertafel aus dem beginnenden 18. Jahrhundert, welche für die Erforschung der europäischen Nationalstereotypen zentral ist. Der abschliessende längsschnittige Vergleich der Länderartikel über Brasilien, Chile, Mexiko und Peru fokussiert einerseits auf die Entwicklung der europäischen Vorstellungen bezüglich der Bewohner Lateinamerikas, andererseits zeigt sich in aller Deutlichkeit das Fehlen einer nationalen Spezifik in den untersuchten Beschreibungen. Als Ergebnis der vorliegenden Arbeit kann festgehalten werden, dass auf Grundlage von deutschen enzyklopädischen Lexika der frühen Neuzeit lateinamerikanische Nationalstereotypen nicht untersucht werden können, weil solche in diesen Quellen nicht existieren. Da enzyklopädische Lexika in der Stereotypenforschung üblicherweise als Quellengrundlage dienen, ist diese Erkenntnis erstens überraschend und zweitens kann davon ausgegangen werden, dass für diese Zeit Nationalstereotypen für lateinamerikanische Länder aus europäischer Perspektive nicht existieren. Weiterführend wäre eine Fokussierung auf ethnische Stereotypen sinnvoll.

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