Die Meinungen waren gemacht: Naturgefahren – Elementarschäden – seien nicht kalkulierbar, deren Versicherung ein Sprung ins Ungewisse und finanziell schlicht nicht tragbar, argumentierte die Gegnerschaft. Eine zukunftsträchtige Lösung zur Armutsbekämpfung müsse her, aus sozialen und volkswirtschaftlichen Gründen, konterten die Befürworter. Diskussionen um das Dafür und Dawider der Versicherung gegen Naturgefahren setzten in der Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts ein.
Um die Argumente einordnen zu können, reflektiert die Lizentiatsarbeit soziologische und versicherungstechnische Ansätze zu Risiken und Gefahren, die zu unterschiedlichen Strategien im Umgang mit (Natur)gefahren führen. Den langen Weg bis zur Versicherung der Elementarschäden versteht die Arbeit als gesellschaftlichen Lernprozess. Exemplarisch zeigt sie Prozesse auf gesellschaftlicher, politischer und versicherungstechnischer Ebene, die durch (Natur)katastrophen ausgelöst werden und zu einem veränderten Umgang mit (Natur)gefahren führen können.
Versuche scheiterten, die Elementarschadenversicherung auf internationaler und nationaler Ebene einzuführen. Wie sie sich auf kantonaler Ebene umsetzen liess, machte die Waadt 1926 vor. Nach knapp vierzigjährigem Ringen versicherte die kantonale, öffentlich-rechtliche Gebäudeversicherung auch gegen Hochwasser, Lawinen, Erd- und Felsrutsch. Damit institutionalisierte der Kanton Waadt eine Ad-hoc-Lösung aus dem Jahr 1890: Die kantonale Gebäudeversicherung hatte erhebliche Sturmschäden gedeckt, welche die Bevölkerung des Vallée de Joux in den Ruin getrieben hätten. Die Diskussion über die ungerechte Entschädigung durch Sammelgelder und um eine mögliche Versicherung war lanciert. Keineswegs verlief sie kontinuierlich. Wiederholte Notstände (Sturm 1890, Hochwasser 1910, Lawinen 1923/24) mussten die Debatte neu beleben, bis der politische und gesellschaftliche Wille zur Realisierung einer Versicherung gegeben war.
In den Jahrzehnten nach 1926 folgten 18 weitere Kantone dem Vorbild der Waadt. Dank Obligatorium und Monopol gelang den öffentlich-rechtlichen Gebäudeversicherungen ein zweifacher Risikoausgleich: einerseits zwischen gefährdeten und weniger exponierten Regionen, andererseits zwischen den diversen Elementargefahren selbst, die nicht in allen Gebieten in gleichem Masse auftraten und auftreten. Auch im Kanton Schwyz stand die Einführung der öffentlich-rechtlichen Gebäudeversicherung und somit der Elementarschadenversicherung zur Abstimmung. Obwohl Kantonsregierung und -parlament für die Einführung waren, bestand die Vorlage an der Urne nicht: Zu gross waren die geschürten Ängste, zu hoch die investierten Gelder in die Nein-Kampagne seitens der Privatassekuranz, welche die Gebäude im Kanton Schwyz bisher versichert hatte und weiterhin versichern wollte. Die Frage nach der kantonal umgesetzten Versicherung der Naturgefahren zementierte die „schweizerische Versicherungslandschaft“ mit 18 öffentlich-rechtlichen und 7 privat-rechtlichen Gebäudeversicherungen. Obwohl die beiden Versicherungssysteme latent rivalisierten, näherten sich ihre Versicherungspraktiken im Elementarbereich an. Mitte des 20. Jahrhunderts entstand deshalb eine „friedliche Koexistenz“ zwischen den beiden Systemen.
So unterschiedlich die Gegebenheiten in den Kantonen Schwyz und Waadt auch sein mögen: Die Argumentationen pro oder contra sind identisch. Sie verraten zwei Interpretationen der „Versicherung“, die sich mit den historisch gewachsenen Strukturen des Assekuranzwesens erklären lassen: Während die Befürworter der Elementarschadenversicherung die soziale Notwendigkeit betonten, die Akte des Vorsehens fordere, stand in den Augen der Gegner stets das finanzielle und versicherungstechnische Risiko im Vordergrund: Es existierten weder statistische noch mathematische Grundlagen, eine derartige Versicherung stelle ein untragbares Risiko dar. Klar zeichnet sich ab, dass die Befürworter in der ehemals religiös geprägten Tradition der Spendenaktionen und Hilfsfonds argumentierten, um sich einer „gerechteren“ Lösung zu nähern. Die Kontrahenten ihrerseits stützten ihre Argumentation auf das versicherungstechnische Risikoverständnis, das sich mit der Ausdehnung des Versicherungswesens durchsetzte. Interessant ist die Spiegelung an den Traditionen: Während das ehemals religiös geprägte, „konservative“ Verständnis die Innovation nahe legte, verhinderte das ursprünglich aufgeklärte, „innovative“ Versicherungsdenken die Neuerung.
Damit zeigt die Entstehung der Elementarschadenversicherung paradigmatisch den Umdenk- und Neuorientierungsprozess, den Krisen auslösen können. Dass sich die aufgeführten Argumentations- und Denkmuster auf weitere Bereiche übertragen lassen, zeigen die aktuellen Diskussionen um die Versicherbarkeit von Erdbeben- und Terrorschäden sowie von Risiken der Atom- und Gentechnologie.